30 Jahre kämpften Vlothoer für den Eisenbahn-Anschluß

30 Jahre kämpften Vlothoer für den Eisenbahn-AnschlußText: Lars Schulz (1997)

„Neues Leben wird hoffentlich die Eisenbahn bringen . . .“, das war vor rund 150 Jahren die Hoffnung der Vlothoer. Die Erfindung Eisenbahn revolutionierte das Transportwesen und veränderte auch die Landschaft Ostwestfalen. Die Vlothoer Kaufmannschaft hatte große Angst durch die Bahn ihre Position als Handelszentrum zu verlieren. Mehr als 30 Jahre kämpften sie daher für eine Anbindung der Weserstadt an das Schienennetz. Am 27. Oktober 1866 gab es die Erlaubnis für den Bau der Eisenbahn-Linie, neun Jahre später wurde sie eröffnet.

Durch seine günstige Lage an der Weser hatte sich Vlotho bis zum 18. Jahrhundert zu einem Handelszentrum entwickelt. Viele Waren wurden umgeschlagen, das Speditionswesen entwickelte sich zum größten Arbeitssektor. Ständig wurden Lagerräume vergrößert. Besonders für die Waren aus Bremen wurde Vlotho zum Umschlagplatz, war Verteilzentrum für die Lieferung ins Hinterland.

Die vielen Kleinstaaten beeinflussten allerdings die Vlothoer Transportgeschäfte zu Wasser und auf dem Landweg. Hannover wollte die Waren von Bremen aus lieber auf dem Landweg durch sein Staatsgebiet lenken, verhängte hohe Zölle für Transporte weseraufwärts. Auch wurde der Bau der Chausseen von Vlotho aus zum Beispiel ins „lippische Hinterland“ nicht gefördert, da die Regierung nur Vorteile für das konkurrierende Lippe sah. Dann wurde die Köln-Mindener Eisenbahn gebaut. Einige Städte hatten Glück, „lagen im Weg“. Nicht so Vlotho, die Rand- und Grenzlage machte sich bemerkbar.

Die traditionellen Verkehrsmittel konnten mit der industriellen Entwicklung nicht mehr Schritt halten, die Eisenbahn schon. So wurden die Eisenwagen immer wichtiger. Sie erschlossen neue Märkte, verringerte Transportzeiten und hob die Nachteile der geografischen Lage auf. Vlotho verlor nach und nach seine Stellung als Handelszentrum. Aber die Vlothoer waren aufgeschlossen und innovativ. Die Kaufmänner wollten die Handelsströme wieder durch die Weserstadt lenken, kämpften daher vehement aber anfangs erfolglos um einen eigenen Eisenbahnanschluss.

Treibende Kraft hierbei war Georg Hermann Otto Brandt, wohl der erfolgreichste Geschäftsmann Vlotho. Als erster im Kreis Herford wurde er später von der preußischen Regierung zum Kommerzienrat gemacht. Ein amtsloser Titel, der allerdings Brandt zu einer in Wirtschaftsfragen oft konsultierten Person machte. Brandt erlebte den Vlothoer Bahnanschluss allerdings nicht mehr. Die umfangreichen Brandtschen Geschäfte meldeten wenige Jahre vorher Konkurs an, Brandt siedelte nach Hannover um.

Zuvor hatte Brandt sich um etliche Eingaben bemüht. Darin wurde unter anderem davor gewarnt, dass „Vlotho Gefahr läuft seine Funktion als Handelszentrum durch die Eisenbahn zu verlieren“. Indiz dafür war, dass schon Mitte des 18. Jahrhunderts einige Schiffer ihr Geschäft aufgeben mussten. Hoffnung gab es noch einmal 1853. Durch den Zollbund fielen die Zölle weg, die Vlothoer hofften nun Knotenpunkt des Handels zwischen Ruhrgebiet und Weser zu werden, forderten erneut einen Eisenbahnanschluss.

Auch an die westfälisch-holländische Eisenbahn sollte die Weserstadt angeschlossen werden. 1865 wurde dies jedoch abgelehnt, bzw. anders entschieden. Im Endeffekt nicht tragisch, denn die Linie wurde nie gebaut, damit war sie das größte gescheiterte Eisenbahnprojekt Deutschlands. Ein Jahr später war es dann soweit: die Bahn kam nach Vlotho. 1875 wurde sie fertiggestellt. Dass die Vlothoer unbedingt einen Bahnhof haben wollten, zeigt die Tatsache, dass sie bereit waren dafür 50.000 Taler zu geben. Es wurde auch ein Eisenbahn-Kommitee gegründet, später wurde die Bahnstrecke jedoch von der Hannover-Altenbekener-Eisenbahn-Gesellschaft gebaut und betrieben.

Nach langem Kampf hatte Vlotho endlich seinen Eisenbahnanschluss. Allerdings kam er schon etwas zu spät, so dass sich die Weserstadt nicht mehr so entwickelte wie andere Städte. Die Eisenbahn hat das Leben seit dem 18. Jahrhundert bestimmt, war eine einschneidende Veränderung wie es zum Beispiel der Buchdruck gewesen war. Das lässt sich auch an den vielen Redewendungen aus dem Eisenbahnwesen erkennen. Beispiel: „Die Weichen stellen“ oder „Ein großer Bahnhof erwartet ihn“. Außerdem sorgte die Eisenbahn dafür, daß in Deutschland eine einheitliche Zeit eingeführt wurde.

Der Text entstand nach einem Vortrag von Vlothos Stadtarchivar Andreas Rinne am 27. August 1997)
Einen Bericht zum Vlothoer Bahnhof finden Sie hier!