Das Heilige Tal Germaniens

Das Heilige Tal Germaniens(aus: Vom »Heiligen Tal Germaniens« )
Autor s. »Anmerkungen« am Artikelende

Das Heilige Tal Germaniens

Heitmann, ein Mann aus Horst1, hatte sich schon vor Jahrzehnten mit der Vergangenheit unserer Gegend ernsthaft befasst. Er hatte sie soweit durchstudiert, dass er schließlich einige Bücher über unsere Gemeinde und nähere Umgebung herausgeben konnte. Einiges hieraus, weil für uns wichtig und interessant ist, möchte ich hier kurz schreiben!

Das Land zwischen Wiehengebirge / Wesergebirge und dem Teutoburger WaldBild: Das Land zwischen Wiehengebirge / Wesergebirge und dem Teutoburger Wald

Das Gebiet, das sich von Porta-Westfalica etwa 15 km nördlich von Vlotho bis Detmold etwa 30 km südlich von Vlotho erstreckt, soll das »Heilige Tal Germaniens« gewesen sein. Der Mittelpunkt dieses Gebietes ist vermutlich der Bonstapel gewesen, 342 m hoch. An diesem Berg, so nimmt man an, haben die Germanen ihre Heiligtümer gehabt und beschützt, vor allem die Irminsul. Am Fuße des Bonstapels liegt noch heute der tätige Senkelteichtrichter2, der frühere große Springbrunnen, der bestimmt mit ein Heiligtum der Vorfahren gewesen sein muss. Kein Fremder hatte Zutritt zu diesen Heiligtümern, schreibt der römische Geschichtsschreiber Tacitus um Christi Geburt.

Etwas anderes und genaueres schreibt ein Schreiber3 Kaiser Karls um das Jahr 800. Jahrzehntelang hat dieser Kaiser unsere Ahnen auf das grausamste bekriegt und auch endlich besiegt. Wie die Hermannsschlacht im Jahre 9, die Racheschlacht der Römer im Jahre 16 in der Nähe von Vlotho, so fanden auch die Kämpfe Kaiser Karls gegen die alten Sachsen in unserer Gegend statt.

or 1918 - Blick zum Bonstapel, auf dem der bis zum 1. Weltkrieg vorhandene Ausichtsturm noch zu sehen istBild: vor 1918 – Blick zum Bonstapel, auf dem der bis zum 1. Weltkrieg vorhandene Ausichtsturm noch zu sehen ist

Es ging nach Ansicht Heitmanns immer um den Besitz unseres Tales der Linnenbeeke. Wer es besaß, war Herrscher im Land. Aus einigen Berichten geht hervor, dass der Kaiser Karl mit einem großen Heere von Mainz aufbrach, zu dem Zwecke, den Sachsen das Heiligtum zu zerstören. Drei Tage soll der Kaiser gebraucht haben, um es zu vernichten, während dieser Zeit soll das Heer von einem Springbrunnen getrunken haben. Was liegt jetzt noch näher, als der Erdtrichter am Bonstapel.

Wir wohnen etwa dreieinhalb Kilometer vom Bonstapel entfernt auf dem Winterberg, der früher Wieterberg oder heiliger Berg geheißen haben soll. Alle seine Hänge führen noch heute heilige Namen. Am rechten Ufer der Lindenbeeke und links der Weser liegt als erster Berg der Winterberg.

1935 - Teilansicht des SenkelteichtrichtersBild: 1935 – Teilansicht des Senkelteichtrichters

Die höchste Kuppe des Berges heißt heute Ruschberg. Heitmann versucht den Namen Ruschberg zu deuten. In seinem Buche schreibt er: »Es heißt in der Edda, Grimnismal 4 – laut Simrock: Heilig ist das Land, das ich liegen sehe – nach Asen nah und Ulsen dort in Thrudheim soll Thor wohnen – bis die Götter vergehen.«

Die Übersetzung von »Gorsleben« lautet: »Hoch sehe ich liegen ein heiliges Land, den Asen nahe und Alben. Auf Trußburg hoch Donner trohnt bis zum Tag, an dem einst die Götter verdämmern.« Kein Edda-Übersetzer kannte das hiesige Heilige Tal, darum müssen die Übersetzungen der alten Ortsbezeichnung unklar sein. Die Lautwurzel für Trudheim, Trußburg oder Tudwang ist »rud« und die deckt sich mit »Rusch«, also Rud oder Ruschberg heute. Man könnte diese Deutung gesucht nennen, wenn nichts weiteres hinzu käme.

1935 - von Heitmann als »Ravensberger Sparren« bzw. »Weltesche« interpretierte Torbogenbeschriftung an einem Bauernhaus in Valdorf.1935 - Reinzeichnung einer »Irminsul« als frühmittelalterliches Sachsen-Heiligtum.
Bild links: 1935 – von Heitmann als »Ravensberger Sparren« bzw. »Weltesche« interpretierte Torbogenbeschriftung an einem Bauernhaus in Valdorf.

Bild rechts: 1935 – Reinzeichnung einer »Irminsul« als frühmittelalterliches Sachsen-Heiligtum.

Der nördliche Hang des Ruschberges heißt noch heute Moßbeeke; also der Götterbach auf dem Götterberge. Nach der Edda, so nimmt Herr Heitmann an, muss Thors Sitz also auf dem Ruschberg sein. Das ganze Gelände um den Moßberg und Ruschberg gehörte bis vor wenigen Jahren zum großen uralten«Döhrs Hof». Vor ca. zehn Jahren starb der letzte Besitzer dieses Hofes, dessen Grundstücke jetzt vereinzelt sind. Der Verstorbene hat immer gesagt, er wisse von seinen Vorfahren, sein Hof hieße nicht Döhrshof, sondern Thorshof. Das haben auch sogar noch Lebende bezeugt.


Fußnoten

1 Damit ist eine Gemarkung in Valdorf gemeint.
2 Erdfalltrichter in Bad Senkelteich, in dem sich im Laufe der letzten Jahrtausende Torfmoor gebildet hatte, das seit dem 18. Jahrhundert intensiv zu Heilzwecken genutzt wird.
3 = Einhard


Anmerkungen

Dieser Text wurde von einem der Schüler verfasst, die in den Jahren 1951 bis 1956 die Volksschule auf dem Winterberg im damaligen Valdorf-Ost besuchten. Er entstand als Teil eines Projektes, in dem der Lehrer Kurt Penzel seine Schüler aufforderte, in Aufsätzen festzuhalten, was sie erlebten. So entstanden lebendige Zeitzeugenberichte, die wir in einer Auswahl im Buch GESCHICHTEN UM DEN WINTERBERG veröffentlichten. Dazu gehören auch Beschreibungen von Literatur, wie sie seinerzeit in der Schulbibliothek zu finden war.

Grundlage der Beschreibung ist das 1930 erschienene Büchlein »Das Heilige Tal Germaniens« dem Untertitel »Secretiora Germaniae« des Valdorfers Heinrich Heitmann. Hier bietet der Verfasser seine Erklärungen für die Bedeutung von natürlichen oder von Menschenhand geschaffenen Auffälligkeiten oder Gegebenheiten in der Umgebung an. Zum Leitgedanken sei Heitmann zitiert: »Zu keiner Zeit war das Interesse unseres gesamten Volkes für die Geschichte unserer Vorfahren, der alten Germanen, so groß als jetzt nach Wiederaufrichtung Deutschlands durch Adolf Hitler.« Aus heutiger Sicht wäre ein Untertitel wie »Curiosa« angebracht.

Die Schrift war in Vlotho weit verbreitet, nicht nur in den Schulbüchereien als Überbleibsel aus den Jahren 1933-45. Noch in den 1950er Jahren hatten sicher nur wenige die notwendige Distanz zu den enthaltenen Ausführungen. Auch solche aus heutiger Sicht zweifelsfrei als Irrungen anzusehende Weltmodelle gehören (freilich mit entsprechendem Hinweis) in eine Dokumentation zu einer Ortsgeschichte.