Vom Leben in Exter …

Vom Leben in Exter ...(aus: M05 Otto Franz Krauß – Mensch mit »Humor im Frack«)
Text: Otto Franz Krauß (Auszug aus seinen Lebenserinnerungen – Rechtschreibung entsprechend dem 1969 erschienenen Original beibehalten.) Mit freundlicher Genehmigung der Kunstdruckerei und Verlagsanstalt Fritz Dröge, Bad Salzuflen Schötmar

Es begann mit einem „Traumhaus“

Meine „Lachenden Abende“ und das damit zwangsläufig verbundene „Zigeunerleben“ zerrten und zehrten trotz des Auftriebs, die sie mir gaben, nicht unerheblich an meinen geschwächten körperlichen Leistungsreserven. Andererseits ermöglichten sie es mir, erstmals in meinem Leben nennenswerte finanzielle Reserven anzusammeln, nachdem die ersten kleineren Ersparnisse Ende 1923 von Vater Staat beim Abdrehen des Inflationskarussells auf sage und schreibe 19,50 Mark reduziert worden waren.

Anfang 1930 konnte ich daran denken, den schon lange gehegten und gepflegten Traum von einem eigenen Häuschen mit einem Stückchen Land irgendwo auf dem Lande zu verwirklichen. Bereits im zeitigen Frühjahr 1930 habe ich nach aufmerksamem Anzeigenstudium entdeckt, was sich mir, dem ein „Solisten“-Dasein auf allen Lebensgebieten bestimmt zu sein scheint, als geradezu ideale Materialisation meines Luftschlosses darstellt, gemessen jedenfalls an meinen vergleichsweise doch recht bescheidenen monetären Möglichkeiten: ein „märchenhaftes“ (da schon ziemlich „verhutzeltes“!) Fachwerkhäuschen mit knapp sechs preußischen Morgen Land auf halbem Hang, mit uraltem Wald im Bergrücken und weiter Aussicht vor der „Nase“, weitab von jeder geschlossenen Siedlung!

Blick auf die Südseite des HollenhagensBild: Blick auf die Südseite des Hollenhagens mit dem später vom neuen Eigentümer als „Kraußhöhe“ bezeichneten Kotten. Im Vordergrund verläuft die heutige Finnebachstraße

Das alles „zu verkaufen wegen Wegzuges nach Bremen“, ein paar hundert Kilometer nördlich dieser abgeschiedenen Idylle auf dem „Hollenhagen“ im Gebiet der Gemeinde Exter, nahe an der Grenze zur lippischen Stadt Bad Salzuflen, deren Wälder sich hier bis in den preußischen Kreis Herford hinein erstrecken. Der Eigentümer ist ein alter Witwer, dem eine Tochter seit einem Dutzend Jahren den Haushalt führt. Nun wird ihnen die Arbeit auf dem Kotten doch ein bißchen zu beschwerlich, jetzt wollen sie beide in die Hansestadt Bremen, aus deren Umgebung sie stammen und in der sie bei einer anderen Tochter (respektive Schwester), die dort ein Geschäft hat, unterkommen werden. Der alte Herr und ich wurden uns über den Besitzwechsel im Prinzip schnell einig. Bei diesem impulsiven Entschluß hatte ich noch nicht die geringste Ahnung, was ich mit der lütten Landwirtschaft überhaupt jemals anfangen sollte. „Kommt Zeit, kommt Rat“, sagte ich mir vage (wie jeder, der nicht weiß, was er tun soll!) und erscheine zwei Tage später vereinbarungsgemäß auf dem Hollenhagen, um mich zusammen mit dem Verkäufer zwecks Vertragsabschluß zum Notar nach Herford zu begeben.

„O, das tut mir aber leid“, empfängt mich die Tochter, „Vater ist bereits in Herford …“ Fräulein Martha möbelt nun den müden Wanderer zunächst mit duftendem Kaffee und einem deftigen Schinkenbrot auf und geleitet ihn, den noch Ortsunkundigen, dann auf Fußwegen durch Wald und Flur und warme Märzensonne zum Vater im gut und gern fünf bis sechs Kilometer entfernten Herford, damit ja nicht der Termin beim Herrn Notar verpaßt werde. Doch der ist unerwartet abberufen worden und erst am nächsten Tage wieder zu sprechen. Ich will mir ein Hotelzimmer nehmen, aber „das kommt gar nicht in Frage“, findet mein Geschäftspartner und komplimentiert mich in sein Haus, das demnächst das meine werden soll. Fräulein Martha richtet mir in einer Kammer eine Schlafstatt her, auf der ich ruhen müßte wie in Morpheus Armen, aber die halbe Nacht über wälze ich mich von einer Seite auf die andere, weil ich halt ein schwerwiegendes Problem zu wälzen habe. Bis es sich schließlich auflöst in einen verlockenden Traum, mit dem ich einschlafe ..

Heiratsantrag zwischen Tür und Angel

„Morgenstund‘ hat Gold im Mund“, behauptet ein altes Sprichwort. Ich erhoffte mir von dieser hintergründigen Verheißung ein paar höchst kompakte Trauringe, als ich nach der halb durchwachten Nacht in aller Herrgottsfrühe aus den Federn kroch, um Fräulein Martha abzupassen: sie wollte mich wecken, denn mit der ersten Kleinbahn sollte es nach Herford zum Vertragsabschluß gehen.

Als sie klopfte, steckte ich auch gleich den Kopf durch einen Türspalt hinaus: „Moment, Moment, Fräulein Blomberg“, stoße ich aufgeregt hervor, bevor sie, zur Kehrtwendung ansetzend, wieder entschwindet, „ich möchte Sie heiraten …“ Und füge besänftigend hinzu, daß ich darüber selbstverständlich auch noch mit ihrem Vater sprechen werde. – „Du Vater“, höre ich sie dann aber einen Augenblick später schon selber, „er will mich heiraten …“ Und bin überzeugt, daß es durchaus nicht so klingt wie: „Der verrückte Kerl, der!“ Sondern ganz im Gegenteil … Wohingegen mir die Antwort des alten Herrn, das sei „ja echt amerikanisch“, eher etwas spanisch vorkommt.

Am 1. Mai 1930 ist Hochzeit auf Hollenhagen, Martha und Otto Franz Krauss verlassen hier die Petri-Kirche in Herford nach ihrer TrauungBild: Am 1. Mai 1930 ist Hochzeit auf Hollenhagen, Martha und Otto Franz Krauss verlassen hier die Petri-Kirche in Herford nach ihrer Trauung

Mit Recht, wie sich umgehend herausstellte. Mein Schwiegervater in spe schwankte angesichts solchen Schreckes in der Morgenstund‘ begreiflicherweise wohl zwischen zwei Abgründen: Entweder ist dieser Krauß auch privat ein Scherzbold, oder aber er ist ein ganz Gewiefter, der auf eine Einheirat spekuliert! Na, was soll ich sagen: ich konnte ihn davon überzeugen, daß mir jedweder „Heiratsschwindel“ fernliege und er doch eigentlich am besten wissen müsse, was für ein Juwel seine Tochter sei. Und was den Hauskauf anbelange, so werde der selbstverständlich promptestens zu den vorgesehenen Bedingungen abgewickelt: was ein paar Stündchen später beim Notar geschah!

Meine Aussprache mit Martha, zu der morgens keine Zeit mehr geblieben war, folgte nach der Rückkehr aus Herford. Es bedurfte weder vieler und schon gar nicht großer Worte zum Hauptthema „Heirat“, denn wir hatten uns in dieser Hinsicht gewiß bereits am Vortage auf unserer gemeinsamen Wanderung nach Herford ohne ein diesbezügliches Wort verstanden. Mir gefiel eben das zierliche Persönchen, das im Hause so gewandt wirtschaften und unterwegs so natürlich und lebensklug plaudern konnte, und so hatte ich mir alle Mühe gegeben, ihr ebenfalls zu gefallen.