Die „wilden Jungs“ aus Vlotho und ihre Heinkel-Roller

Text: Lars Schulz (1997)

Die "wilden Jungs" aus Vlotho und ihre Heinkel-RollerHeinkel … bei diesem Namen denken alle sofort an das bekannte Flugzeug Heinkel He. Etwas später kommt bei vielen noch der Gedanke: Ach die haben ja auch einmal einen Kabinenroller gebaut! Und das ist richtig – es war sogar ein sehr guter. In Vlotho wurde dieses Zweirad von vielen gefahren, ebenso wie die Triumph Contessa. Da lag der Gedanke nahe einen Verein zu gründen und das geschah auch, am 9. September 1957. Das besondere: Den Verein gibt es auch heute noch, 40 Jahre später.

„Es ist phänomenal, dass der Verein so stabil geblieben ist,“ betonte Heinz Koch, der seit 1969 Präsident der derzeit vierzehn Vereinsmitglieder ist. In den ersten Jahren gab es zahlreiche Mitgliederschwankungen – Beim ersten Jahresfest bei Twelsiek 1958 waren es 40 Mitglieder. Von den sieben Gründungsmitgliedern sind mit Gerhard Barkmin, Herbert Diekmann, Bernhard Karger, Karl-Heinz Kelle, Heinz Koch und Günther Lenger bis auf einen auch heute noch alle dabei.

„Wir haben eine super Kameradschaft,“ so Schriftführer Günther Freitag. „Toleranz, andere Meinungen gelten lassen, über alles beraten und immer versuchen alle auf einen Nenner zu bringen“, sind für Heinz Koch weitere Gründe für die Beständigkeit des Vereins.

Grüngeschmückt auf PfingstausflugBild: Grüngeschmückt auf Pfingstausflug

Natürlich steht heute nicht mehr der Roller im Mittelpunkt des Vereinslebens, heute ist es die Geselligkeit. Feste werden gefeiert, Kegelabende („früher unser Ausgleichssport“) organisiert, Fahrten durchgeführt und einmal im Monat findet ein Treffen der Mitglieder statt – bis 1984 starteten die Mitglieder auch jährlich zu großen Busfahrten.

Seit 1964 haben sich die Roller nach und nach aus dem Mittelpunkt verabschiedet – die Gründe waren einleuchtend. „Wir hatten Familie, ein oder mehrer Kinder und sind auf den Pkw umgestiegen“, so Heinz Koch. Im Gründungsjahr hat freilich noch keiner der Mitglieder an einen eigenen Wagen gedacht. Das erste Geld wurde anderweitig investiert: In einen Roller.

„Wir waren alle in der Lehre“, so Heinz Koch, mit dem ersten Geld wurde das Zweirad angeschafft. Rund 800 Mark Anzahlung, der Rest auf Raten. Heute erscheint das nicht viel. Der zweite Vorsitzende Walter Krüger klärt aber auf: „Damals verdienten wir in der Stunde rund eine Mark“. Die Mitglieder sind fast alle ein Alter (bei der Gründung zwischen 18 und 22 Jahre alt). „Daher gibt es bei uns die Feste, wie zum Beispiel Silberhochzeiten oder sechzigste Geburtstage, immer auf einen Haufen“, berichten die drei Vorstandsmitglieder ein wenig schmunzelnd.

„Viele betrachteten uns damals mit Skepsis“, waren sich alle einig. Ein motorisierte Clubs waren etwas völlig neues. „Hier waren Jäger, Schützen, Feuerwehr oder Reiter in etablierten Vereine“, versuchte Heinz Koch die Voreingenommenheit zu erläutern.

Die „wilden Jungs auf ihren Feuerstühlen“ waren in Vlotho stadtbekannt. Wenn es in der Stadt röhrte und dröhnte wussten alle Bescheid: „Die Jungens treffen sich auf dem Kirchplatz“. Es waren wirklich nur Jungens, „wir waren alle noch ledig“, später waren die Ehefrauen aber immer mit dabei.

Eine der ersten Aufnahmen: Die Mitglieder des Clubs sind in Reih und Glied an der St. Stephans-Kirche platziertBild: Eine der ersten Aufnahmen: Die Mitglieder des Clubs sind in Reih und Glied an der St. Stephans-Kirche platziert

Das erste Treffen auf dem Kirchplatz der St. Stephans-Kirche fand am 13. April 1957 statt. Von hier aus wurden zahlreiche Fahrten in die Umgebung unternommen. Nach und nach verstärkten sich die Gedanken einen Club zu gründen. Nach einigen lockeren Besprechungen machten sich die Heinkel- und Contessafahrer dann auf die Suche nach einem Vereinslokal.

„Wir wollten einen zentralen Ort“, so Heinz Koch. Das Gasthaus Keller sollte es sein, der Wirt zeigte kein Interesse. Auch bei den Ratsstuben wurde man nicht fündig. Durch Zufall wurde dann das neue Vereinslokal gefunden: Die Gaststätte „Zur wilden Sau“ von Hillebrandt.

Nun wurden alle, die einen Heinkel- oder Triumph-Contessa-Roller fuhren, angesprochen – zur ersten Sitzung am 9. September 1957 erschienen schließlich vierzehn Interessierte. Voraussetzung wares einen Roller zu besitzen. 1961 wurde die Satzung dann dahingehend geändert, dass jeder, der einen Pkw-Führerschein besaß eintreten konnte.

„Der Verein bezweckt die Pflege des Motorsports und gibt Gelegenheit zur Anleitung, sich mit Fahrzeugen im modernen Straßenverkehr sicher zu bewegen, sowie zu sportlicher Kameradschaft“, so lautet Paragraph vier der Vereinssatzung. Die Hintergedanken bei der Gründung erläuterten Heinz Koch, Walter Krüger und Günter Freitag, dabei war nicht zu übersehen, wie ihre Augen glänzten … es muss eine schöne Zeit gewesen sein!

Ein Bestreben war es, dass sich alle im Straßenverkehr diszipliniert verhalten. Aus diesem Grund wurde auch zwei oder drei Mal im Jahr die Polizei eingeladen. Gut in Erinnerung geblieben ist bei allen noch die Vorführung des Promillemessgerätes: „Einer wurde auserkoren und musste trinken. Zwischendurch musste er pusten und die Promillezahl wurde festgestellt“. Außerdem wurden auf Parkplätzen vereinsinterne Geschicklichkeitsfahrten durchgeführt. Die öffentlichen Veranstaltungen des Clubs bei Hillebrandt fanden großen Zuspruch.

Vor der "Wilden Sau" in Steinbründorf: Die Stahlrösser warten auf ihre Besitzer ...Bild: Vor der „Wilden Sau“ in Steinbründorf: Die Stahlrösser warten auf ihre Besitzer …

„Ob Regen oder Schnee, wir sind früher immer gefahren“, erinnert sich Heinz Koch. Die Woche über wurde gespart, gefahren wurde dann am Sonntag. Längere Fahrten waren finanziell nicht drin – die Touren führten zum Dümmer, in den Harz oder zum Steinhuder Meer. War das Ziel von den Mitgliedern beschlossen arbeitete der Fahrtleiter die Tour aus. Dann ging es ab! Die Heinkel (175 ccm bei 9,5 PS) und die Contessa (200 ccm bei 10,5 PS) unterschieden sich in der Geschwindigkeit. Um alle zusammenzuhalten durfte der Fahrtleiter (er fuhr an der Spitze) nicht überholt werden. In kleineren Gruppen waren die Fahrten manchmal länger: Salzburg, Königssee und drei Vereinsmitglieder fuhren sogar 1960 zu Einweihung des Atomiums nach Brüssel.

Fotos aus dieser Zeit gibt es nur wenige. „Das Geld ging für den Roller drauf, da war es eine Sensation, wenn einer ein Bild machen konnte“, blickt Heinz Koch zurück.

Der Heinkel- und Contessa-Club war aber nicht nur in der Weserstadt bekannt. Mitglieder kamen aus einem Umkreis von 30 Kilometern aus Kalletal, Rehme, Bad Oeynhausen, Löhne, Gohfeld und Möllbergen. Für das harmonische Vereinsleben spricht auch eine weitere Tatsache. Der Vorstand mit dem ersten Vorsitzenden Heinz Koch, dem zweiten Vorsitzenden Walter Krüger, Kassierer Paul Timmerberg und Schriftführer Günther Freitag ist seit 1969 ohne Veränderung im Amt!

Dieser Verein war nicht der einzige Motorsportclub in der Weserstadt. 1967 wurde ein Verein für Dürkopp-Diana gegründet (wurde kurze Zeit später aufgelöst) und später gab es auch noch einen BMW-Isetta-Club (auch ihn gibt es schon lange nicht mehr).

„Wer Geburtstag hat, gibt immer eine Runde Ochsenschwanzsuppe aus“, nennt Heinz Koch eine Tradition, die sich schon lange durch den Verein zieht. Abschließend sei allen Heinkel-Freunden gesagt: Es gibt ihn noch, diesen wunderschönen Roller. Und das sogar noch im Vlothoer Heinkel- und Contessa-Club. Als einzige Vereinsmitglieder besitzen Günther Freitag und Karl-Heinz Kelle noch ihren fahrbaren Untersatz aus alten („wilden“) Tagen!

Anmerkung der Gw-Redaktion: Es gibt den Club auch heute noch (2008). Freilich besteht er nur noch aus 13 Mitgliedern, die sich aber dennoch regelmäßig treffen. Noch immer besitzen und nutzen Günther Freitag und Karl-Heinz Kelle ihre treuen Zweiräder und noch immer gibt es an Geburtstagen eine „Runde Gulaschsuppe“ (… wenn ihr allerdings auch schon mal ein Schnitzel mit Bratkartoffeln vorgezogen wird, meint Günther Freitag). Beiden danken wir hier für die Überlassung der in diesen Beitrag aufgenommenen Bilder!