Der Wittekindstein

(Auszug aus: I06 – Spurensuche VI)

Der WittekindsteinHeute steht er etwas unscheinbar am Rande einer Nebenstraße. Bis zum Bau der Herforder Straße von Exter nach Vlotho im Jahre 1877 war das anders, denn auf dieser heutigen Wittekindstraße verlief Jahrhunderte lang der Hellweg, die Hauptstraße zwischen Vlotho und Herford. Eine im Herbst 2012 vorgenommene spektroskopischen Analyse ergab, dass das Objekt aus Lippischem Rhätquarzit besteht und sehr wahrscheinlich in der nahen Umgebung des heutigen Standortes gebrochen wurde.

In das Licht der Geschichte rückte der Stein wahrscheinlich erstmals bei der Anlegung des Brandenburger Katasters im Jahre 1685. Der heutige Hof Detering, auf dessen Grund der Stein jetzt steht, wurde damals als „Hartog am Stein“ bezeichnet. Der Historiker Leopold von Ledebur berichtet 1825, dass nach lokalen Erzählungen „Wittekind der Große“ (= Widukind) auf ihm gesessen habe und der Stein diesem zum Andenken am vorgefundenen Platz aufgestellt sei. Er führt aber auch aus, dass es sich nach offizieller Ansicht (beispielsweise der Königlichen Regierung zu Minden) um einen so genannten Freigerichtsstuhl handeln solle. Die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, wenngleich seinerzeit von einem „Freien Stuhl zu Solterwisch“ nichts bekannt sei, woran sich bis heute auch nichts geändert hat. Substanz könnte die Erzählung haben, dass im Dreißigjährigen Krieg General Hatzfeldt auf dem einem Sitz ähnlichen Stein Platz genommen habe und seine Soldaten an sich vorbei habe defilieren lassen. Die Hand sollte man dafür aber nicht ins Feuer legen.

Abbildung des Steines im "Vormbaum" von 1864Bild: Abbildung des Steines im „Vormbaum“ von 1864

Der Name Wittekindstein erscheint 1864 bei Vormbaum in „Die Grafschaft Ravensberg“, so nennt ihn auch der extersche Pastor Lohmeyer 1854 in seiner handschriftlichen Orts-Chronik (Diese Arbeit wurde mit ausführlichen Kommentaren versehen im Jahr 1997 von der Geschichtswerkstatt Exter als Buch herausgegeben). Lohmeyer bringt den Sandstein mit den im 19. Jahrhundert aufkommenden Sagen zur Nationalen Verehrung Wittekinds als Freiheitskämpfer der Sachsen gegen den Karl den Großen in Verbindung. An diesem Ort sollen sich der Sachsenherzog und der Franke die Hände zur Versöhnung gereicht haben. Möglicherweise bezieht er sich damit auf das 1845 erschienene „Weserbuch“ von August Engel (Becker, Hameln – Reprint 1990 Niemeyer, Hameln). In diesem Werk wird das Objekt bislang feststellbar zum ersten Mal mit dem Namen „Wittekindstein“ benannt. – Hier soll die Sage erklären, was im Dunkel des Geheimnisvollen liegt. – Am jetzigen, ursprünglichen Platz wurde der Stein im Jahr 1961 repräsentativ neu aufgestellt, nachdem er zuvor an einen anderen Standort verbracht worden war, weil er als verkehrstechnisches Hindernis angesehen wurde. Während der Feierstunde am 8. September 1961 mit den Honoratioren Exters, Heimatforschern aus dem Kreis Herford und exterschen Schulklassen wurde er in den Reden als Zeichen des Freiheitsdenken der Ravensberger bemüht.

Welche Bedeutung hatte dieser Stein wirklich? Er selbst bietet uns heute weitgehend die richtigen Antworten, vielmehr sind es seine Inschriften. Zwei der 1584 in den Stein eingearbeiteten Hausmarken lassen sich mittlerweile eindeutig zuordnen: Für den Herforder Richter Johan von Horn stehen J und H, für Rudolf Fürstenau, Mitglied einer Schöffenfamilie in Herford für R und F.

Bei einer Datierung ist die erhaltene Inschrift am Kopf des als Rückenlehne interpretierbaren Teiles, „…d Horst diesen Stein erneweren lassen ano 1659“ zwar hilfreich, gibt aber gleichzeitig den Hinweis, dass er zu jenem Zeitpunkt schon länger seinen Platz in der Region hatte. Was auch durch die eindeutige Jahreszahl 1584 als wahrscheinlicher Zeitpunkt der Anbringung der Hausmarken unterstrichen wird. Nach heutiger Meinung steht die Angabe „…d Horst“ für den damaligen Vlothoer Drosten Arnold von der Horst, in dessen Verwaltungsbereich die Bauerschaft Solterwisch lag und damit auch das „Westphälische Freigericht waltete“, wie von Ledebur formulierte. Nebenbei bemerkt lag Solterwisch zum damaligen Zeitpunkt im Grenzbereich der Diözese Paderborn zur Mindener Diözese, was gleichbedeutend mit der Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Gauen war.

Wittekindstein im Juli 2009Bild: Wittekindstein im Juli 2009

Die Initialen (Hausmarken) der zuständigen Richter und Schöffen wurden in den Sandstein gemeißelt, als der damalige Landesherr, der Herzog von Jülich Berg und Graf zu Ravensberg die Gerichtsbarkeit in seinem Territorium neu ordnete. Der Inhaber des dritten, noch nicht eindeutig definierbaren Sigels dürfte auch diesem Kreis angehört haben. Und bedeutsam mußte dieses Mal schon sein, wie sonst ist zu verstehen, dass mindestens zwei Herforder sich in einem Sandstein im damals so fernen Solte (Solterwisch) verewigten. So dürften wir einen uralten Gerichtsstein vor uns haben mit Hinweisen auf die hohe Bedeutung dieser Personen. Ob er dort stand, wo nach alten Berichten zu Johanni (24. Juni) „Holzgericht“ gehalten wurde, ist bisher nicht nachweisbar.

Die wahre Geschichte wird wohl noch eine geraume Weile im Dunkeln liegen. Hier ist weitere Forschungsarbeit erforderlich, wenn man überhaupt jemals fündig wird. Damit der Stein auch weiterhin und möglichst lange erhalten bleibt, steht er seit 1985 unter Denkmalschutz, für eine ansprechende würdige Umgebung sorgt die Pflege durch Mitglieder unseres Vereins.