(aus: „Z04 gw-Splitter“)
Text: Martin Schröder (Schwarzenmoor)
Ende der 50er Jahre begann in einem rasanten Tempo die Automobilisierung. In der Vergangenheit hatte man als Motorradfahrer mit den Unannehmlichkeiten von Regen, Wind und Kälte zu kämpfen. Jetzt schätzte man im Auto ein „Dach über dem Kopf mit Heizung, Polster-sitzen und Blumenvase“. Nachbarn und Kollegen mit einem Auto ließen Wünsche nach der neuen Bequemlichkeit aufkommen.
Wie alljährlich spannte unser Nachbar Hermann im Frühjahr 1960 sein Pferd vor den Federwagen, ein leichter, gefederter Transportwagen mit einem Kutscherbock, um etliche Bunde Erbsenbraken (größere Buchenzweige) zu seinen Stammkunden in Herford zu bringen. Diese steckten die Braken in ihren Gemüsegärten in die Erbsenbeete, um den Kletterpflanzen Halt zu geben.
Auf dem Heimweg kam Nachbar Hermann mit seinem Gespann in der Waltgeristraße an einem Ausstellungsgelände voller Kleinwagen vorbei. Pferd und Wagen wurden angehalten, um die Angebote näher anzuschauen. Wie viele Zeitgenossen besaß Nachbar Hermann den Führerschein IV, gültig für Motorfahrzeuge bis 250 ccm Hubraum. Das ausgestellte Goggomobil konnte er hiermit fahren – ein realer Traum.
Bild: Goggomobil Modell Limousine, gebaut ab 1955
Der aufmerksame Autohändler hatte den interessierten Kunden sogleich bemerkt, sprach ihn an und bat ihn auf das Gelände und um sei-ne Adresse. Doch Nachbar Hermann verneinte Kaufabsichten und fuhr sehr bald mit Pferd und Wagen dem heimatlichen Gehöft entgegen. Der Autohändler hatte unterdessen die am Fuhrwerk angebrachte Anschrift notiert.
Zu Hause angekommen wurde Nachbar Hermann kurze Zeit später von dem Autohändler mit dem Goggomobil überrascht. Die Familie wurde zur Probefahrt in das Auto gebeten, um sie von den Vorzügen des Kleinwagens zu überzeugen. Vollbesetzt ging es mit dem Goggo eine Steigung hinauf, wobei sich eine blaue Rauchwolke von dem 2-Takter durch die Baumkronen kräuselte. Nach geraumer Zeit war der Kauf getätigt, und das Goggomobil mit seinen 250 ccm Hubraum und 13,6 PS stand fahrbereit auf der Deele.
Nachbar Hermann, ein sonst sehr geschickter Mann, hatte zuvor nie einen Trecker oder ein Auto gefahren. Fußpedale und Steuerrad bereiteten ihm schon Probleme. So war denn bei den ersten Ausfahrten die Hilfe eines Nachbarn willkommen. Nachdem alles klappte, wurde Nachbar Hermann viele Jahre bis ins hohe Alter mit seinem Goggo – mobil. Nach 25 Jahren Stillstand wurde das Wägelchen liebevoll restauriert und ist heute mit neuer Zulassung gelegentlich bei Oldtimerausfahrten zu sehen.