(Zusammenfassung zu L14 – Spurensuche XIV
sowie N06 – Mit Weserblick am Amtshausberg)
Bild: 2006 Kulturfabrik in Vlotho – früher Zigarrenfabrik Schöning (vormals Hoening und Schöning)
Bünde, die Nachbarstadt im Kreis Herford, ist als „Zigarrenkiste Deutschlands“ bekannt, aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts war dieses Prädikat der Weserstadt Vlotho vorbehalten, als hier über tausend Menschen in der Branche arbeiteten und mit ihren Familien ihren Lebensunterhalt fanden. Zu den besonders wichtigen Unternehmen zählte Schöning, 1847 gegründet als Hoening & Schöning war es das drittälteste der Branche in der Weserstadt, überlebt hat es noch bis 1971, wenn auch in Vlotho nicht mehr produziert wurde. Der Name Schöning wird noch immer genannt. Verständlich, haben doch in der ehemaligen Vlothoer Zigarrenfabrik, der heutigen „Kulturfabrik“, Heimatstube des Heimatvereins, Jugendkunstschule, Stadtbücherei und Jugendzentrum ihr Domizil.
Ein weniger erfreuliches Bild bot dagegen der Anblick der „Villa Schöning“. Seit 1988 teilte sie das traurige Schicksal des ehemaligen Bahnhofs von Vlotho, an dem der Zahn der Zeit nicht weniger heftig nagte. In den letzten Jahren wurde auch sie überdies mehrfach von Feuer heimgesucht, das entweder aus Vandalismus gelegt oder auf Unachtsamkeit manch unerwünschter Einquartierung zurückzuführen war. So war Ende September 2005 ein weiterer Brand der Boulevard-Presse Anlass, über ein „Spukhaus“ in Vlotho zu berichten. Auch wenn dieser Bericht sich nicht durch seriöse Berichterstattung auszeichnete, war er in verschiedenen einschlägigen Internetforen Gesprächsthema mit mehr oder weniger wilden Spekulationen.
Bild: 1927 – Ein intakter Anblick: Bahnhof (links) Villa (Mitte) Tribüne (rechts)
Angefangen hatte die Geschichte des Gebäudes in den Jahren 1898/99. Der Herforder Architekt Köster baute für den damaligen Fabrikanten Wilhelm Schöning die Villa am Hang des Amtshausberges. Mit Ausblick über das Wesertal stromabwärts über Gut Deesberg hinweg, bis zur Porta Westfalica, und stromaufwärts bis zur „Lippischen Porta“. Dem in Vlotho mit der Eisenbahn einfahrenden Besucher bot sich beim Verlassen des Bahnhofes ein bemerkenswertes Bild, denn der Architekt legte großen Wert auf einen repräsentativen Eindruck durch die aufwändige Gestaltung der von der Straße her sichtbaren Fassaden mit wilhelminischen Gestaltungselementen. Besonderen Eindruck macht noch immer die direkt zur Straßenseite weisende Ostfassade. Wilhelm Schöning starb 1924, Julius Schöning modernisierte 1925/26 die elterliche Villa.
Die Familie wohnte bis zum Kriegsende 1945 in dem attraktiven Gebäude. Dann wurde es wie viele andere Vlothoer Häuser von den einmarschierenden Amerikanern beschlagnahmt. Anschließend wohnten hier Angehörige der englischen Besatzungsmacht, 1950 verließ das englische „Rote Kreuz“ als letzte die Villa. 1952 verkaufte Julius Schöning das Anwesen an den Kreis Herford.
Bild: Die Villa Schöning in ihren besten Zeiten (hier eine Ansicht von noch vor 1925) – Fast dreißig Jahre später wird sie als Heim der Arbeiterwohlfahrt genutzt.
Nach baulicher Erweiterung fanden alte Menschen hier ihre letzte Bleibe im Altenheim „Schönblick“ unter Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt. 1978 bekam das Haus einen neuen Besitzer. Binnen kurzem kam das nun als Familienbetrieb geführte Heim negativ in die Schlagzeilen der Tagespresse, nachdem es Anlass gab, die pflegerischen Leistungen an den Insassen zu beanstanden. Im März 1982 wurde der Betrieb geschlossen; dem Inhaber waren Veruntreuungen nachgewiesen worden, es kam sogar zu einer Verurteilung. Mehrmals wechselten die Besitzer und auch zur Verwirklichung einer geplanten exklusiven Wohnanlage kam es nicht mehr. Kreditinstitute übernahmen die Immobilie.
1988 erwarb der Berliner Alois Heim den Vlothoer Bahnhof und die Villa Schöning, die auch weiterhin unbewohnt war, abgesehen von der kurzen Zeit, in der Heim selbst dort Unterkunft fand. Von ihm selbst konnte man vor einigen Jahren noch erfahren, dass er recht schnell von der Absicht, seinen Lebensabend in der Villa zu verbringen, abgerückt war, „nachdem erste Instandsetzungen Vandalismus zum Opfer fielen!“. Fanden sich dann wirklich nur noch potentielle Käufer mit nicht akzeptablen Preisvorstellungen? Viele Vlothoer haben hierzu und zum Bahnhof eine eigene Meinung.
Bild: 2006 – Diese Aufnahme von der Nordseite vermittelt nur unvollständig den heutigen Zustand, zeigt aber auch, wie der Bewuchs allmählich überhand nimmt. Der scheinbar solide Anblick der hoch aufragenden Außenmauern täuscht darüber hinweg, wie es wirklich um den einstigen Prachtbau bestellt ist. Vom Betreten wird dringend abgeraten. Anfang Juli 2009 kam es zum ersten bekannten Unfall: Ein Vierzehnjähriger brach durch den Fußboden und stürzte vier Meter tief in den alten Keller.
Zum Gebäudezustand zeichneten wir wir zu diesem Zeitpunkt u. a. auf: „Heute ist das Innere des Hauses wohl irreparabel zerstört, Decken und Treppen sind eingestürzt, halbwegs begehbar ist nur noch das Erdgeschoss. Die Fußböden sind mit Müll und Unrat übersät, Farbschmierereien verunstalten Innen- und Außenwände, vom Eigentümer erfolgte keine konstruktive Reaktion. Rufe nach Enteignung wurden laut und seitens der Stadt Vlotho waren die möglichen Schritte zumindest zum Bahnhof vollzogen worden. Aber so einfach scheint es nicht zu sein. Ein Verfahren sei nur dann erfolgreich, wenn das Objekt anschließend der Allgemeinheit zur Verfügung steht, als Bürgerzentrum oder in einer anderen Form. Und das erschien im Blick auf die leeren Kassen der Kommune schon angesichts der Renovierungskosten illusorisch.
Was behördlicherseits nach der Gesetzeslage höchstens getan werden kann, zeigt ein Sitzungsprotokoll des Rates aus Dezember 2003. Die Landrätin des Kreises Herford hatte als Bauaufsichtsbehörde wenige Tage zuvor gegenüber dem Eigentümer des Grundstückes „mit Festsetzung von Zwangsgeld und Androhung eines weiteren Zwangsgeldes“ verfügt:– Herrichtung des Gebäudes in der Art und Weise, dass ein unbefugtes Betreten verhindert wird (z. B. vollständige Verschließung der Tür- und Fensteröffnungen in den Bereichen Keller und Erdgeschoss)
– Absperrung aller über das Grundstück führenden Zuwegungen zur Vermeidung einer freien Zugänglichkeit zum Objekt
– Aufstellung von Hinweisschildern mit der Beschriftung „Unfallgefahr! Betreten des Grundstücks verboten! Eltern haften für ihre Kinder!“
Bild: 1995 – Von außen ist sie noch ansehnlich; den tatsächlichen Zustand verbergen gnädig die größer gewordenen Bäume im Vordergrund.
Die Vlothoer Tagespresse titelte am 28. Juni 2006 „Bahnhofsbesitzer aus Berlin ist tot“: Es gab Gespräche zwischen der Stadt Vlotho und der Erbengemeinschaft, konkret offenbar aber nur zum ehemaligen Empfangsgebäude des Bahnhofs Vlotho. Ein Architektenteam aus Exter bezifferte Anfang 2006 die voraussichtlichen Sanierungskosten allein für den Bahnhof auf einen vielstelligen Betrag. Eine solche Lösung wurde lange Zeit auch für die Villa Schöning gewünscht, deren Bausubstanz sich immer weiter verschlechterte. Hinzu kamen die sehr ungünstigen Standortbedingungen, der umgebende Wald drang immer weiter auf das Grundstück vor. Einziger Effekt war, dass der Anblick des Hauses verborgen wurde, wenigstens im Sommer, wenn das immer dichter werdende Gehölz im vollen Blattwerk stand. Was den Bahnhof betrifft ging es Anfang Dezember 2006 in kleinen Schritten weiter. Bernhard Heim, Sprecher der sechsköpfigen Erbengemeinschaft, bemüht sich mit einem vierköpfigen Team, den weiteren Verfall des Gebäudes vorerst aufzuhalten. Doch das ist ein andere Geschichte.
Neuigkeiten zur Villa und zum Bahnhof sind Mitte Juni 2007 in der Tagespresse zu finden. Die Erbengemeinschaft war fest entschlossen, sich von den ungeliebten Objekten zu trennen und teilte mit, sich um Käufer zubemühen. Dazu meinte der Vlothoer Anzeiger: „Michael Fißmer von der Verwaltung betonte, dass die Stadt bei einer neuen Nutzung des Bahnhofes planungsrechtlich beteiligt sei.“ Den Bahnhof hatte im Dezember 2007 die Stadt Vlotho erworben, Diskussionen um die künftige Nutzung begannen. Zu diesem Gebäude möchten wir die Aktualisierung des Geschehens hier abschließen. Was die Villa betrifft musste man abwarten. Wenn auch nicht jedes kleine Vorkommnis hier angezeigt sein muss, sei doch erwähnt, dass Anfang Mai 2009 die Feuerwehr wieder einmal ausrücken musste; der Fußboden brannte.
Bild: 16. April 2011 – Dieses Bild, mit Zoom vom rechten Weserufer aus aufgenommen (im Ortsteil Uffeln, also über die Weser hinweg), zeigt im Vergleich mit dem vorhergehenden, welcher Schaden bei dem Brand eine Woche zuvor entstanden war: Das Dach, der letzte Schutz vor Niederschlag, war ein Opfer der Flammen geworden. Was die Stabilität der Mauern anging, trog der Schein. Das Gelände war nach wie vor aus Sicherheitsgründen abgesperrt, vom Betreten war noch mehr abzuraten als bisher.
Anfang April 2011 war das Ende der Villa eingeläutet worden. Nachdem am 6. April wieder einmal die Feuerwehr zu einem kleineren Einsatz ausrückte, geschah das am gleichen Tag noch einmal und am Donnerstag darauf, weil Schwelbrände neu aufzuflackern drohten. Am 8. April schließlich zwang ein Großbrand der Stufe 3 die Feuerwehr zu einem vielstündigen Einsatz. Erschwert wurde die Arbeit dadurch, dass das jetzt kurz vor dem Einsturz stehende Gebäude nur noch unter Lebensgefahr zu betreten war.
Man kann es als endgültiges Ende einer Aera bezeichnen: Wieder verschwand ein stummer Zeitzeuge für die einstige Bedeutung der Tabakindustrie in der Weserstadt. Mitte September 2011 berichtete die Lokalpresse, dass ein wichtiger Schritt zu weiteren Entscheidungen getroffen sei. Der Denkmalschutz wurde aberkannt, was den Weg freimachte für den Abriss des nach dem Brand unrettbar verlorenen Gebäudes. Man mag es bedauern, doch die Gefährdung für sich auf dem Gelände Aufhaltende war nicht zu verleugnen. Dies besonders deswegen, weil die Villa als „Spukhaus“ hohen Aufmerksamkeitswert in einschlägigen Kreisen hatte. Eine erneute Baugenehmigung für dieses Grundstück am Hang des Amtshausberges war versagt, hieß es aus der Stadtverwaltung.
Bild: 25. Juli 2013 – Seit zwei Tagen sind die Abrissarbeiten im Gange. Nachdem zuvor die Auffahrrampe (hinter dem Gitter) vom Bewuchs befreit wurde, ist bereits ein erheblicher Teil des Gebäudes abgebrochen worden. Das Gelände ist gesperrt.
Erst nach dem Einzug eines Zwangsgeldes bewegte sich die Angelegenheit. Am 23. Juli 2013 begannen auf Veranlassung der Erbengemeinschaft die Abrissarbeiten. Manche Stimme aus der Bevölkerung begrüßte die aktuelle Entwicklung, zu lange hatte ihnen die Unentschlossenheit der Beteiligten schon gedauert. Andere bedauerten den Niedergang der Villa Schöning, eines nach der Sachlage nicht mehr zu erhaltenden Beispieles für Industrie- und Wohnkultur in Vlotho.