Ein Mann macht Geschichte
Am 26. Juli 1872 starb in Spenge Carl Heinrich Christian Lohmeyer. Von 1836 bis 1860 wirkte er als Pfarrer in unserer Kirchengemeinde, in der bei ihrer Gründung im Jahre 1666 im Wesentlichen die Bauerschaften Exter und Solterwisch zusammengefasst waren. 1854 schloss er seine Beschreibung „Exter und seine Umgebung …“ ab, in der er als vermutlich erster allgemeine historische Darstellung mit Nachrichten aus den Kirchenbüchern unserer Gemeinde verflocht.
Die 125. Wiederkehr seines Todestages im Jahre 1997 war uns Anlass, seinen Lebensweg über seine Zeit in Exter hinaus zu skizzieren. Während der zweijährigen Arbeit an diesem Projekt ergaben sich zu seinem Wirken teilweise recht überraschende Erkenntnisse. Neben Kirchenakten sehr hilfreich waren familiengeschichtliche Aufzeichnungen, die der Enkel unseres Pastors, der Historiker Eduard Lohmeyer als Familienforscher verfasste. Verarbeitet sind darin Berichte von unmittelbar Betroffenen, u. a. seines Onkel Emil Lohmeyer. Es folgt der mit Originalbildern (Beschreibung: Bild mit der Maus anfahren) versehene Vortrag von Wilfried Sieber zur Vorstellung des Buches C. H. C. Lohmeyer „Chronik von Exter“.
Eine Reise durch die Geschichte der Region
Lassen Sie sich mitnehmen in eine andere Welt, das Preußen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wir befinden uns im Jahre 1836, in der früheren Bauerschaft Exter, wie vor napoleonischer Besatzungszeit Dörfer genannt wurden. Mit der nebenstehenden Karte wird 1837 der preußische Generalstab arbeiten. Die Besetzung durch Napoleon ist vorbei, aber noch nicht vergessen, allmählich erwacht deutsches Nationalbewusstsein.
Die Industrialisierung wirft ihre Schatten voraus, in Deutschland ist ein Jahr zuvor eine Dampf-Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth gefahren. Das Gesicht unserer Region wird durch diese erste Revolution im Transportwesen gewaltig verändert werden, wenn die Cöln-Mindensche Eisenbahn acht Jahre später den Anschluss an größere Wirtschaftszentren bringt. Eine mächtige Auswanderungswelle wird in Kürze auch die Provinz Westfalen erfassen und Vlothos Weserhafen als Station auf dem Weg nach Bremen und weiter nach Übersee eine bescheidene Rolle spielen.
Auf dem Lande verläuft das Leben wie schon seit Generationen in mehr oder minder geregelten Bahnen. Das gilt für die Provinz Westfalen und damit auch für Exter. Die Infrastruktur ist mäßig, gerade so eben den Ansprüchen genügend. Es scheint der Königlichen Regierung zu Minden auch nicht erforderlich, sich über Straßen- und Wegebau übermäßige Gedanken zu machen, von fehlenden Finanzen einmal abgesehen.
So verwundert es nicht, dass in späteren Jahren jemand, von dem noch zu berichten ist, über Exter schrieb: „Dies Dörflein war damals noch viel mehr als heute von dem Verkehr abgeschlossen, namentlich zur Winterszeit. Es konnte dann eine ganze Woche vergehen, daß kein Mensch in die Pfarre kam.“ – Und weiter: „Es war eine stille Gemeinde mit einem stillen, ruhigen Volke.“ Pfarrer Carl Heinrich Christian Lohmeyer begleitete als treuer Diener seines Herrn das stille Gebirgsdörflein eine Generation lang auf seinem Weg durch die Zeit. Sein Bild eröffnet in der Sakristei unserer Autobahnkirche einen bis fast in die Neuzeit reichenden Reigen der in Exter wirkenden Seelsorger bis hin zu Pfarrer Ulrich Holtkamp, der im Jahre 2001 in den Unruhestand ging und den es immer noch nach Exter zieht.
Von Pastor Lohmeyer soll hier erzählt werden, weil sein Fortgang von einer eigenartigen Geschichte begleitet war und weil er einen historischen Bericht über Exter verfasste. Erwähnenswert ist auch die Art, wie er das Thema anging: In seinem Werk verband er die Geschichte der Region rund um Exter mit Eintragungen in den Kirchenbüchern. Weiter brachte er vieles von dem ein, was er bei seinen Besuchen in der Gemeinde und in anderen Gesprächen hörte.
Menschen sind in unserer Region seit mindestens etwa fünftausend Jahren ansässig. Zahlreiche Funde menschlichen Werkes zeigen das. Als früheste Zeugnisse sind Steinwerkzeuge anzusehen. Mit der wissenschaftlichen Pollenanalyse konnten in unserer Zeit Spuren früher Nutzpflanzen nachgewiesen werden. Das ravensbergisch-lippische Hügelland war in Ansätzen demnach schon früh kultiviert. Die klimagünstige Lage zwischen den Bergzügen Wiehengebirge und Teutoburger Wald mag das unterstützt haben ebenso wie der relative Wasserreichtum.
Folgen wir unserem Pastor und nehmen wir seine „Chronik von Exter“ als Reiseführer, ergänzt durch Erkenntnisse aus den letzten 16 Jahrzehnten. Lohmeyer beginnt seine Beschreibung mit Angaben zu sehr frühen Zeiten, so wie sie zu seiner Zeit bekannt waren oder vermutet wurden. Überlieferte Geschichte aus alten Zeiten ist meist Kirchengeschichte. Doch überspringen wir sie, wenn auch das Geschehen in dieser Epoche mit Sicherheit nicht uninteressant war. Wir beginnen mit dem Jahre 1012, in dem die nördlichste Marienerscheinung im benachbarten Herford stattgefunden haben soll. In Folge kam es zu einem Kirchenbau, um den herum sich die Herforder Stift Berg-Gemeinde entwickelte. 1325 wich der ursprüngliche Holzbau einer steinernen Basilika. Lange Zeit gehörten die Bauerschaften Exter und Solterwisch in den Wirkungsbereich Stift Bergs.
Schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts fanden die Ideen Luthers in Herford Widerklang, was dann auch für Exter und Solterwisch galt. Die katholisch orientierte Herforder Abtei hatte noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts Bestand. Auch für Exter hatte sie in alten Zeiten ihre Bedeutung. Von hier aus gesehen führt kurz vor dem Salzufler Ausflugslokal „Lohse“ eine Straße nach rechts in den Wald. Sie heißt „Seligenwörden“ nach dem früher in dieser Gegend gelegenen Amtshof Seligenwörden. Hier wurden die für die Abtei bestimmten Naturalien auch der abgabenpflichtigen Kolonate in Exter und Solterwisch gesammelt. Überhaupt hatte die Abtei große Bedeutung für Exter. So entstammen zum Beispiel die ihr dienstpflichtigen Ritter von Arnholte dieser Bauerschaft.
Über Seligenwörden schreibt Lohmeyer: „Es lag da, wo jetzt das Ufler Holz ist. Innerhalb desselben sind zwei kleine mit Gras bewachsene Vertiefungen. Da waren große mit Quadersteinen ausgemauerte Keller, darüber prächtige Gebäude, nicht weit davon die Pferdeställe und Düngergruben. Ja, sogar ein gepflasterter Weg soll noch vorhanden sein. Von all diesen Herrlichkeiten ist nichts mehr. An den Standort erinnern noch die heutigen Kellerteiche.“
Das Ravensberger Land bzw. die Grafschaft Ravensberg und die selbständige Abtei Herford lagen im Jahr 1556 am Schnittpunkt wichtiger Verkehrswege. Somit war die Region verkehrstechnisch relativ gut erschlossen. Natürlich hatten solche Verkehrsverbindungen nicht die Qualität der heutigen. Eine so genannte Straßenbaukunst gab es noch nicht und sie hatten die zweifelhafte Brauchbarkeit von Feldwegen, wie sie heute kaum noch zu finden sind. Wer allerdings aufmerksam in Wald und Feld unterwegs ist, findet allerorten Reste von ihnen: Hohlwege. Die wichtigste Verbindung von Exter und Solterwisch nach Herford verlief ungefähr parallel mit der heutigen Herforder Straße, auf Herforder Gebiet Vlothoer Straße genannt.
Beschwerlich war die Benutzung dieser Pfade im Winter und bei schlechtem Wetter allemal, nicht nur für die Besucher der Stift-Berg-Kirche. Nach alten Aufzeichnungen tat sich u. a. der dortige Pfarrer Mölling schwer, seinen Verpflichtungen nachzukommen und so nimmt es nicht wunder, dass viele Schäflein in den Bauerschaften Exter und Solterwisch ihren Pastor nicht kannten, wovon das Kirchenbuch berichtet und damit auch Lohmeyers Chronik. Irgendwann wurde der Wunsch nach einer eigenen Kirche laut.
Eine der ältesten Gastronomien in unserem Ort ist der „Krug zu Exter“. Noch bis etwa 2001 lebten Nachfahren des für Mitte des 17. Jahrhunderts genannten „Krügers“ namens Klusmeier in seinen mittlerweile immer wieder renovierten Mauern. 1666 wurde hier ein folgenschwerer Entschluss gefasst: Von der Kirchengemeinde Stift-Berg spaltete sich die Kirchengemeinde Exter ab. Begleitet war diese Gründung von einigem Hin und Her. Die Stift Berger-Seite fürchtete um Einnahmen aus Exter und Solterwisch. In der in den 1920er-Jahren entstandenen Schulchronik von Exter wird andererseits vermutet, dass einige der infrage kommenden Exteraner und Solterwischer etwaigen finanziellen oder anderen Belastungen mit gemischten Gefühlen entgegensahen: Die als reich geltende Stift-Berg-Gemeinde verlange nur geringe Abgaben.
Am 21. November 1666 wurde die Fachwerk-Kirche zu Exter schließlich eingeweiht. Seit der Beschlussfassung im August waren nur wenige Monate vergangen. Angesichts der kurzen Zeit könnte man vermuten, dass ein auf dem Grundstück vorhandenes Haus genutzt wurde. Es wird aber immer nur berichtet von einem „Neubau“. Nun hat man im Gegensatz zu heutigen Zeiten in Exter und Solterwisch damals wohl oft recht schnell gebaut. Als gutes Beispiel mag die Windmühle Lindemanns in Solterwisch dienen, von März bis November 1850 errichtet wurde. Zurück zur Kirche, deren Turm etwa 1677 errichtet wurde. Erster Pfarrer war Gerhard Georg Arcularius. Über die Gründung der Kirchengemeinde wurde anlässlich der 300jährigen Wiederkehr im Jahre 1966 in „Kirche in Exter 1666 – 1966“ ausführlich geschrieben.
Dem genannten Buch sind die drei nachstehenden Zeichnungen des 1997 verstorbenen Bruno Wanglers entnommen. Der Wappenstein mit der Jahresangabe 1666 weist auf den brandenburgischen Kurfürsten als Landesherren hin, denn eine Grafschaft Ravensberg seit 1647 nach endgültiger Beilegung des Erbfolgestreites zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg Vergangenheit. Ohne seine wohlwollende Zustimmung hätte es eine selbständige Kirchengemeinde Exter zum damaligen Zeitpunkt nicht gegeben.
Das ganz alte Pfarrhaus wich 1843 dem während Carl Lohmeyers Amtszeit errichteten Neubau. 1607 war es als Kolonatswohnung gebaut worden. Der Kurfürst schenkte es der neu gegründeten Kirchengemeinde aus einem Heimfall. Es befand sich etwa dort, wo im Sundern heute noch das genau 300 Jahre später erbaute Vereinshaus der Kirchengemeinde Exter steht, doch das ist eine Geschichte, die mit Pastor Lohmeyer nichts mehr zu tun hat. Die Inschrift auf dem (noch vorhandenen) Grabstein sagt in heutigen Worten aus, dass „1686 der ehrenwerte und achtbare Hardtwich Piper im Arnholz im Herrn im Alter von 64 Jahren entschlafen sei.“
Durch besondere Wohnqualität zeichnete sich dieses Bauwerk nicht aus, denn Pastor Lohmeyers Frau Mathilde bezeichnet es in einem Brief als „zugiges Loch“. Das soll nicht bedeuten, dass die Exteraner ihren Pfarrern vorsätzlich miserable Wohnqualität zumuteten, sie hausten selbst nicht in Luxusanwesen. 1837 dankte Mathilde ihrer Mutter für „einen eisernen Herd …, auf dem man Suppe und Gemüse zugleich kochen konnte!“ Die Spenderin hatte zu ihrer Gabe geschrieben: „daß du, armes Kind, auf der kalten Diele hast kochen müssen. Doch nun ist … diese Not behoben …“.
Carl Lohmeyers Aufzeichnungen zu seinen Amtsvorgängern zeigen, dass ihnen alle menschlichen Vorzüge und Fehler eigen waren wie den ihnen jeweils Anvertrauten. Diese Berichte beruhen im wesentlichen auf den ihm zugänglichen Kirchenbüchern, die in unserer Zeit entstandene Kirchenchronik berücksichtigt zusätzliche Quellen.
Recht ausführlich berichtet er über Anton Gottfried Hambach, der von 1769 bis 1777 in Exter wirkte. Er gilt als ein Wegbereiter der Erweckungsbewegung in Minden-Ravensberg. Diese relativ umfängliche Niederschrift ist vielleicht zu werten als ein Zeichen der sich wandelnden Einstellung Lohmeyers zum Pietismus, auf die noch näher einzugehen ist. Aus diesen Aufzeichnungen soll lediglich noch Daniel Pemeyer erwähnt werden (1796 – 1807 in Exter). Seine seelsorgerlichen Fähigkeiten halfen ihm rasch, Nach anfänglichem Widerstand akzeptierte die Gemeinde ihn und seine seelsorgerlichen Fähigkeiten. Man erzählte über ihn einige Anekdoten. So tötete der mitunter von Jähzorn Geleitete, ein Schwein seines Nachbarn Grebe (heute Kahre), das in seinem Garten wühlte und auch ein Obstbaum im Pfarrersgarten fiel ihm zum Opfer. In Unkenntnis der Tatsache, dass seine Frau kurz zuvor die Äpfel gepflückt hatte, hieb er den Baum um, weil er meinte, die Früchte seien gestohlen.
Doch auch außerkirchliches Geschehen flicht Pastor Lohmeyer in seinen Bericht. So erwähnt er merkwürdige Grabhügel in Meisen und Kreimeyers Holze. Vom letzteren ist nichts mehr erhalten. Der Grabhügel bei Meise (im Bild) war 1995 Ziel einer Spurensuche unserer Geschichtswerkstatt. Wenn Lohmeyer noch irrtümlich mutmaßt, dass diese Grabhügel während der Römerzüge anlässlich der Varusschlacht angelegt wurden, weist er Berichten über den durch Wüsten und Solterberg streifenden Geist Hermanns den richtigen Platz als Kinderschreck zu. Die Grabhügel entstammen übrigens Zeiten lange vor Hermann und Varus.
Der 30jährige Krieg ging an Exter und die umgebenden Orte nicht spurlos vorüber. So sollten die Österreicher die Kirche zu Wehrendorf zerstört, Valdorfer einen Goldtransport erbeutet haben und auch ein kleinerer Schatz von einigen Goldstücken sei hernach gefunden worden. Zuvor jedoch erschütterte 1612 ein Erdbeben das hiesige Umland, bei dem Kirchenglocken von selbst läuteten. 1666 wurde eine Frau beschuldigt, ihre Pferde verhext zu haben und in Exter weiß man heute noch zu berichten, wo sie als Hexe verbrannt worden sein könne. Einen schlüssigen Nachweis gibt es allerdings nicht.
Carl Lohmeyer berichtet noch einiges über Exter und die umliegenden Bauerschaften, was in seiner Chronik nachzulesen ist. Es folgen hier nur auszugsweise weitere Angaben:
– 1755 brannte Reckefuß Exter Nr. 8 ab, wobei ein kleines Kind des Kolons ums Leben kam. Auf diesem Bild ist der Hof zu sehen, wie man ihn hernach wohl wieder aufbaute, bis er in den letzten Kriegstagen 1945 beim Einmarsch der Amerikaner bis auf den Speicher rechts im Bild zerstört wurde.
– 1759 marschierten mehrere Regimenter Franzosen durch Exter
– 1799 zerstörte starker Hagelschlag große Teile der Ernte
– 1813 vergrub ein Kaufmann in der Dornberger Heide in Exter seine Schätze. Sie sind dem Vernehmen nach noch nicht gefunden und wer etwas Zeit übrig hat, mag sich auf die Suche machen!
Viele Jahre waren bestimmt von der Anwesenheit fremder Truppen. Spanier, Schweden, Russen und als Auswirkung der napoleonischen Besetzung natürlich Franzosen. Von den Russen schreibt Lohmeyer, dass landläufig die Auffassung herrschte, „die Franzosen seien als Feinde besser als die Russen als Freunde.“ und die evangelischen Schweden wohlgelittener als die katholischen Spanier. Für das Jahr 1834 berichtet er vom Brand des Kolonates Schemel zu Exter.
Verhaltene Kritik übt er an der ihm seelenlos erscheinenden (rein rational ausgerichteten) Glaubenslehre, wie sie einige seiner Amtsbrüder praktizieren. Auf solchem Boden musste in seinen Augen die Saat von (übertrieben agierenden) Eiferern keimen, wie es der Leutnant von Tschirschky einer war. Hatte dieser nach Lohmeyers Worten auch Gaben, so „… hatte er allerdings auch zwar Kenntnis vom Evangelio, aber von der Kraft desselben nicht so viel erfahren, dass er von Unlauterkeit gereinigt sein unanständiges Verhältnis löste.“ Gemeint war damit die außereheliche Lebensgemeinschaft mit der Offizierswitwe, die ihn 1832 von Berlin nach Valdorf begleitete. 1833 starb der Leutnant im Kerker der Vlothoer Burg, begraben liegt er auf dem Winterberg.
Der letzte Eintrag in der Chronik besagt, dass 1841 das neue Pfarrhaus gebaut wurde und Pastor Carl Heinrich Christian Lohmeyer schließt seine Chronik mit der mit Psalm 127,1 beginnenden Bitte:
wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.
Diesem Herrn sei also der Bau seiner Gemeinde und seines geistigen Königreichs und die Hut seiner Stadt oder Stätte,
worin Christi herrlicher Name uns sein ewiges Heil, dessen die Seelen teilhaftig werden sollen, verkündet sein,
anempfohlen von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen
Der Mensch Lohmeyer und sein Lebensweg.
Wieder befinden wir uns im Jahr 1836, in dem am 22. Juni der 33jährige Carl Heinrich Christian Lohmeyer zum Pfarrer von Exter ernannt wird. Am 6. Juli heiratet er in Spenge seine Wilhelmine Henriette Seippel und 27. Juli wird er in die Gemeinde eingeführt, die er auf ihrem Weg durch die Zeit 24 Jahre lang begleiten wird.
Aus Gründen, die nicht mehr nachvollziehbar sind, leistet Carl Lohmeyer seinen Amtseid aber erst 1844. Er unterzeichnet die von Superintendent Huhold vorgeschriebene Eidesformel mit den Worten: „Vorstehender Eid ist von mir in Gegenwart des Herrn Superintendent Huhold langsam durchgelesen. Vlotho, den 28. August 1844 …“ usw. Hierauf schreibt das Konsistorium an Lohmeyers Vorgesetzten, dass aus dem Dokument nicht hervorgehe, dass Lohmeyer den Eid auch verstanden habe, Huhold möge bei künftigen Gelegenheit bitte mehr auf die Form achten. Bürokratismus ist kein Kind unserer Zeit …!
Pastor Lohmeyers Lebensweg bis zu seinem Fortgang soll hier gekürzt so wiedergegeben werden, wie er 1966 aufgezeichnet wurde von Walter und Wilhelm Gröne, den Söhnen des damaligen Pastors unserer Kirchengemeinde, Wilhelm Gröne:
„Als Sohn des Pastors zu Enger wurde er am 6. Januar 1803 geboren. Seine Ausbildung erhielt er zuerst am Herforder Gymnasium, dann in Halle an den Anstalten des [Frankhschen] Waisenhauses. Er studierte in Halle von 1824 bis 1827. Am 22. Juni 1836 wird er zum Pastor von Exter ernannt und am 27. Juli eingeführt. Die Kirche konnte die versammelte Gemeinde nur mit Mühe fassen. Kurz zuvor hatte er Wilhelmine Henriette Auguste Seippel, die Tochter des Spenger Pastors, geheiratet.
Die vordringlichste Aufgabe für den neuen Prediger war der Bau eines Pfarrhauses. Schon 1815 urteilt ein Gutachten, das Pfarrhaus sei eine Reparatur nicht mehr wert. Die letzte notdürftige Instandsetzung wurde während der Vakanz 1836 vorgenommen. Die Regierung in Minden erteilt 1838 die Erlaubnis, einen Neubau zu errichten. Im Herbst [1840] beschließt das Presbyterium, dass statt eines Fachwerkbaues massiv gebaut werden soll. Mit dem Unternehmer Brune Exter Nr. 1 schließt der Bürgermeister Poehlmann von Vlotho am 16. Dezember 1841 im Auftrage des Presbyteriums den Bauvertrag. Die Bauarbeiten ziehen sich bis in den Sommer 1843 hin. Die Steine wurden im Solterberge gebrochen, Ziegelsteine und Dachziegel vom Gut Deesberg bei Vlotho herangeschafft. Im Herbst 1843 bezieht Pastor Lohmeyer das neue Haus.
Am Ende der vierziger Jahre rückt die Renovierung der Kirche in den Vordergrund, von ihrer Baufälligkeit ist damals häufig die Rede. Ein großzügiger Plan sieht die Verlängerung der Kirche um vier Meter vor, weil zu wenig Plätze vorhanden sind. Doch die erforderliche Summe übersteigt das Vermögen der Gemeinde und lässt dieses Vorhaben scheitern. In den Monaten Juni bis Oktober 1854 werden die Erneuerungsarbeiten ausgeführt. Die Wände werden außen verputzt, innen gekalkt. Die Decke und das Gestühl werden ausgebessert und gestrichen, ebenso der Altar und die Kanzel. Die Orgelempore wird erweitert. Während des Umbaues werden die Gottesdienste auf dem benachbarten Königs Hof abgehalten.
Bei der Einweihung in der erneuerten Kirche am zweiten November 1854 predigten die Pastoren Eduard Seippel aus Schnathorst und Karl Kuhlo aus Valdorf. Der Posaunenchor aus Wüsten blies im Gottesdienst, ein schönes Beispiel der Verbundenheit mit der lippischen Nachbargemeinde. Im wesentlichen blieb die Gestalt der Kirche bis zum Jahre 1951 so bestehen, unverändert ließ man auch bis zum Neubau die 1854 vorgenommene Verteilung der Kirchenstühle.
Als zweiter Bauabschnitt folgt 1856 der Neubau der Orgel durch den Orgelbauer Kummer aus Minden. Neben diesen umfangreichen Baumaßnahmen zur Zeit Pastor Lohmeyers ist für die Kirche die Aufteilung der Gemeinheiten von Bedeutung gewesen. Uns liegen die Rezesse der Teilungen des Hellerhagens, des Hollenhagens und der Dornberger Heide vor, die aus den Jahren 1843 bis 1845 datieren, auch dem Pfarrbesitz wurden Grundstücke zugewiesen. Um 1850 wurde das neue Minden-Ravensberger Gesangbuch eingeführt, das den älteren Leuten noch gut in Erinnerung ist. In der Schule und in vielen Häusern sang man aus der ‚Missionsharfe‘, dem Liederbuch der Erweckungsbewegung. Am zehnten April 1857 fand die erste Taufe am neuen Taufengel statt. Man war mit dieser Einrichtung dem Beispiel der Kirchen in Vlotho und Valdorf gefolgt.
Das kirchliche Leben in dieser Zeit erscheint als sehr rege. Die Beteiligung der Gemeinde an den Haupt- und Nebengottesdiensten, den Bibel- und Missionsstunden ist groß. Die Kollekten und besonderen Gaben für die Mission liegen in Exter über dem Durchschnitt der Synode. ‚Tanzlustbarkeiten‘, wie es in den Synodalberichten heißt, werden in Exter nicht veranstaltet. An anderer Stelle werden Auswanderer erwähnt, ein Zeichen, dass die allgemeine wirtschaftliche Not auch in Exter zu spüren war.
Am 27. Februar 1860 wird Pastor Lohmeyer vom Konsistorium nach Hartum (Kreis Minden) berufen; er verlässt im Juni Exter. Nur ungern sah man den tüchtigen Seelsorger scheiden.“
So ist es zu lesen in „300 Jahre Kirche in Exter“. 1854 beendete Lohmeyer die Arbeit an seiner Beschreibung „Exter und seine Umgebung“, die wir als Chronik von Exter“ bezeichnen. Entstehen konnte sie mutmaßlich erst dann, als er 1850 die private Bücherei des nach Amerika auswandernden Amtsbruders Schmieding aus Valdorf kaufte. Verweise auf verschiedene zeitgenössische Historiker mit ihren Veröffentlichungen lassen u. a. diesen Schluss zu.
Persönliche Kontakte mit ihnen wird es mangels zeitlicher und finanzieller Möglichkeiten nicht gegeben haben. Es sind in der Familiengeschichte auch keine erwähnt und so ist Lohmeyers Arbeit vermutlich als die eines Autodidakten einzuordnen. Aufgeschrieben hat er die Chronik aus reiner Freude am Quellenstudium und Übertragung in ein eigenes Werk, das unserer Ansicht nach in kleinster Auflage auch einen Weg aus der Pfarre hinaus fand. Auch in Hartum beschäftigte er sich mit der Geschichte seines Wirkungsortes und zeichnete sie auf, freilich sehr allgemein. Sohn Emil, der ihm Anfangs in Hartum als Hilfspastor zur Seite stand und später in Levern wirkte, hatte ebensolche Lust am Fabulieren, was daraus zu schließen ist, dass er eine Chronik dieses Ortes verfasst haben soll.
Zurück zu Pastor Lohmeier: Worin seine Aufgaben in der Kirchengemeinde Exter bestanden, hat er für seinen Nachfolger vor seinem Weggang aufgeschrieben (Diese Aufstellung erhielten wir erst nach Abschluss des Projektes, sie ist somit nicht Bestandteil des Vortrages).
dem Pfarrer zu Exter obliegenden Amtsverrichtungen
geschrieben den 18. März 1860
Christian Heinrich Carl Lohmeyer
Prediger & Pfarrer zu Exter
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- Derselbe muß alle Sonntage vormittags einmal predigen.Am ersten Weihnachtsfeiertage, am ersten Oster- und am ersten Pfingstfeiertage muss er zweimal, und zwar vormittags und nachmittags, predigen. Auch findet Frühgottesdienst am ersten Weihnachtsfeiertage statt, welcher um sechs Uhr morgens seinen Anfang nimmt. Der Morgengottesdienst beginnt alle Sonntage um zehn Uhr morgens.
- Derselbe muss das Heilige Abendmahl austeilen:a. in der Passionszeit an allen Freitagen, hauptsächlich am Karfreitage
b. in der Zeit nach Pfingsten an etwa sechs hintereinander folgenden Freitagen;
c. in der Zeit nach Michaelis, gleichfalls an etwa sechs hintereinanderfolgenden Freitagen.An diesen Zeiten nach Pfingsten und nach Michaelis muss er nach jedesmal sechs Wochen hintereinander am Sonntage denen, die es verlangen, das Heilige Abendmahl geben - In der Heiligen Passionszeit muss er an jedem Freitage eine Passionspredigt halten. Sonstige Wochenpredigten sind nicht üblich.
- Alle Sonntage nachmittags von Ostern bis Michaelis muss er öffentliche Catechisationen in der Kirche halten, welche nachmittags zwei Uhr ihren Anfang nehmen. Die Catechumenen unterrichtet er alle Wochen etwa zwei Stunden, und zwar wie bisher üblich war, Montag Morgens von zehn bis zwölf Uhr. Die Confirmanden unterrichtet er anfangs auch zwei Stunden, und zwar, wie bisher üblich war Dienstag von zehn bis zwölf Vormittags. Später unterrichtet er dieselben vier Stunden, um dieselbe Zeit morgens, etwa an den Tagen Dienstag, Mittwoch usw.
- Die Confirmation wurde in der letzten Zeit am Palmsonntage vorgenommen. Am Sonntag vorher wurden die Konfirmanden nachmittags dem Presbyterium und der Gemeinde vorgestellt und geprüft.
- Der zeitige Pfarrer wird es gewiß nicht unterlassen, seine Gemeindeglieder, namentlich aber auch die Kranken fleißig zu besuchen. Sonst aber sind keine bestimmten Zeiten gesetzt, wann er Hausbesuche abstatten so.
- Wo es verlangt wird, muss er bei öffentlichen Leichen in der Kirche, oder am Grabe eine Predigt halten. Auch muss er, wo es gefordert wird, im Hause eines Verstorbenen am Sarge desselben eine Petition halten, die Leichen konfirmierter Personen muss er wenigstens begleiten, wenn sie in der Stille beigesetzt werden.
in idem Lohmeyer
Exter galt als eine der ärmsten Kirchengemeinden in ganz Westfalen, wenn sie nicht sogar die ärmste überhaupt war. Carl Lohmeyer hatte bei seinen Vorgesetzten im Konsistorium zu Münster, schon mehrfach auf seine finanzielle Situation hingewiesen. Sein Einkommen belief sich zuerst auf 400, später auf 500 Taler „und er wäre damit nicht ausgekommen, wenn ihm Gott nicht eine gute Hausfrau an die Seite gestellt hätte. Die Bauern aber halfen auch, z. B. übernahmen sie abwechselnd die unentgeltliche Bestellung des Pfarrackers.“ In den genannten Beträgen waren die Geldwerte der Pfarre zustehender Naturalabgaben eingerechnet.
Eine Verbesserung ergab sich durch die Versetzung nach Hartum. Von 1860 bis 1871 wirkte Carl Lohmeyer dort, eine Zeit, die bestimmt war von bemerkenswerten Vorgängen und Ereignissen. 1865 erlitt er einen ersten, wenn auch leichten Schlaganfall. Er erholte sich leidlich, aber es war notwendig, dass ihm eine Unterstützung zur Seite gestellt wurde. Sohn Emil hatte soeben sein theologisches Studium erfolgreich abgeschlossen und übernahm die Aufgabe eines Hilfspfarrers. Es zeigte sich dann aber, dass Carl Lohmeyers Gesundheit zu stark angegriffen war. Emil wollte überdies auf eigenen Füßen stehen und so kam es, dass der Vater 1871 in den Ruhestand ging. Aufenthalt fand er in Spenge bei der Verwandtschaft seiner Frau.
Sohn Emil schreibt über die kurze Zeit, die seinem Vater noch verblieb: „Er war 68 Jahre und 7 Monate alt, da er sich emeritieren ließ. Die Beschwerden des Alters zeigten sich immer mehr in Steifheit der Glieder und sichtbarer Abnahme der Leibes- und Geisteskräfte. [Den Winter 1871/1872 erlebte er noch, aber im Hochsommer] … gerade in den heißesten Tagen der Ernte, wiederholte sich der Schlaganfall.“ Am 26. Juli 1872 verschied Carl Lohmeyer. „Der Spenger „Pastor Berghauer hatte ihm das hl. Abendmahl gereicht, und auch der alte Pastor Emeritus Weihe hatte ihn auf seinem Sterbelager besucht. Der Kantor Reckers aber ließ in der Schule Sterbelieder singen, als z. B. „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende,“ und die Klänge dieser Lieder tönten milde in das Sterbezimmer hinein. Endlich kam der letzte Stoß und das treue Herz stand still.“
Zur Beerdigung eingeladen waren einige Gemeindeglieder aus Exter, genannt werden König Exter Nr. 40, Nachbar Grewe Solterwisch Nr. 22 und Lindemann Solterwisch Nr. 5. Am 18. Oktober 1879 folgte Wilhelmine Lohmeyer dem Gatten und man beerdigte sie auf dem Kirchhof zu Spenge an seiner Seite.
Unser Weg durch die Zeit hat mit dem Tode Carl Heinrich Christian Lohmeyers vor 125 Jahren ein Ende gefunden, seine Geschichte noch nicht! 1995 wurde in der Geschichtswerkstatt die Idee geboren, dem 1872 verstorbenen Pfarrer Carl Heinrich Christian Lohmeyer als Verfasser der „Chronik von Exter“ einen Bericht in unserer Reihe „Beiträge zur Ortsgeschichte“ zu widmen Anlass war die 125. Wiederkehr seines Todestages in diesem Jahr. Eine absehbar unkomplizierte und übersichtliche Aufgabe. Vorgesehen war, neben dem Bericht der Brüder Walter und Wilhelm Gröne Pastor Lohmeyers weiteren Lebensweg in Hartum und später Spenge zu skizzieren. Überlegt wurde weiter, ob und wie seine Chronik veröffentlicht werden könne.
Bereits als der Projektbearbeiter vor Jahren das Buch „300 Jahre Kirche in Exter“ in die Hände bekam, fiel ihm eine mögliche enge Beziehung der Kirchengemeinden Exter und Hartum auf. Im Rahmen der Arbeit an der Lohmeyer-Geschichte würde sich sicher näheres feststellen lassen. Hier die Fakten:
– Pastor H. P. Erdsiek (1784 – 1796 in Exter) ging nach Minden und im Anschluss nach Hartum.
– Pastor Carl Heinrich Lohmeyer verließ Exter 1860 nach Hartum
– Pastor Leonhard Wedepohl kam 1860 nach Exter, predigte aber noch in Hartum
Freundschaftliche Beziehungen zwischen Kirchengemeinden hat es immer gegeben, nicht nur zwischen nahen Nachbarn. Warum nicht auch zwischen zwei Gemeinden, die früher eine Tagesreise weit auseinander lagen? Beim Nachforschen gab es eine Überraschung. Es war alles ganz anders!
Dass Pastor Erdsiek in Hartum wirkte, war Zufall. Er hätte nach Vlotho oder Bergkirchen oder irgendeine andere Gemeinde gehen können. Ein eben solcher Zufall war Pastor Lohmeyers Berufung. Er war lediglich zum passenden Zeitpunkt am passenden Platz. Die Konstante war Hartum; an verantwortlicher Stelle musste entschieden werden, was in dieser unruhigen Gemeinde zu geschehen hatte. Und damit ist eine Geschichte verbunden, die schon lange vergessen war und ohne die dieser Bericht über Pastor Lohmeyer sich kaum unterschieden hätte von einer ganz normalen Biographie: Pastor Wedepohls Wege aus Hartum ab 1860 waren Folgen.
Die drei Herren, die Sie hier sehen, trugen den gleichen Nachnamen Lohmeyer. Gemeinsam ist ihnen außerdem, dass sie Geschehenes aufschrieben und somit als Chronisten bezeichnet werden dürfen:
– Carl Lohmeyer (*1803 Enger +1872 Spenge) schrieb die Chronik von Exter und begann mit einer ähnlichen Beschreibung der Gemeinde Hartum. – Sohn Emil (*1841 Exter +1916 Bückeburg) zeichnete ausführlich das Geschehen um seinen Vater in der Gemeinde Hartum auf und schrieb eine Chronik von Levern auf, wo er später als Pfarrer wirkte . – In der dritten Generation schließlich schrieb Eduard Lohmeyer (*1884 Elberfeld +1966 Lippstadt)als Enkel Carls und Neffe Emils Familiengeschichte auf und diese war ein Schatzkästlein für unser Projekt.
Speziell von dieser Familiengeschichte wussten wir in Exter bislang nichts und die Leute in Hartum erst recht nicht, obwohl sie sie vielleicht noch mehr angeht. Diese zufällig erschlossene Quelle war im nachhinein betrachtet lebensnotwendig für das Projekt. Gedankt sei hier Frau Gerda Modersohn, der Urenkelin unseres Pastors Lohmeyer für ihr Entgegenkommen und unserem Pfarrer Ulrich Holtkamp für die Vermittlung.
Der genannte „Pastorentausch“ fand vor dem Hintergrund der Erweckungsbewegung in Minden-Ravensberg statt. Es war die Zeit der Rationalisten, die den Glauben in Folge der Aufklärung genannten Epoche verstandesmäßig zu erfassen suchten. Damit gingen sie mit dem Staates konform. Die gleichzeitig recht aktiven Pietisten sahen Glaubensfragen als Sache des Herzens, der spätere erste Kaiser von Deutschland, Wilhelm, sympathisierte mit ihren Überzeugungen.
Bekannt sind aus dieser Zeit außerkirchliche Versammlungen (Konventikel). Unter der Leitung stark engagierter Gemeindeglieder waren sie Ausdruck für Bedürfnis nach von Gefühlen und vorbehaltlosem Glauben getragener Frömmigkeit. Vielen Menschen war ein solcher Rückhalt in einem oft von wirtschaftlicher Not bestimmten Alltag unverzichtbar. Im allgemeinen fanden sich solche Konventikel dort, wo ein konservativer, also rationalistisch agierender Pfarrer wirkte, zu denen Carl Lohmeyer zählte. Auch in Exter gab es solche Versammlungen, aber er war dort des öfteren Gast und sprach mitunter das Schlussgebet.
Doch zurück zur Kirchengemeinde Hartum. Sie war mit etwa 4.000 Seelen relativ groß und hatte Filialkirchen in den Bauerschaften Nordhemmern, Holzhausen und Hahlen. Die heutige Kirche wurde 1895 erbaut, leider sind von der vorherigen keine Bilder erhalten, die ursprüngliche 1703 erbaute dürfte der heute noch vorhandenen Kapelle von Nordhemmern sehr ähnlich gewesen sein.
Das als Kirchenbehörde zuständige Konsistorium in Münster hatte mit Hartum ein Problem: Dem starken, rationalistisch wirkenden Pastor Cämmerer war der ebenso starke pietistische Hilfspfarrer Leonhard Wedepohl zur Seite gestellt. Das konnte nicht gut gehen und so war es auch: die Kirchengemeinde war in zwei Lager gespalten. Unterschiedliche religiöse Auffassungen hatten damals einen anderen Stellenwert und den Beteiligten war es bitter ernst mit Aussagen wie solchen, wie sie nach Cämmerers Tod die Runde in Hartum machten: „Die Freunde Cämmerers sagten nun, und waren fest davon überzeugt, dass Wedepohl und seine Anhänger den Pastor Cämmerer tot geärgert hätten, während Wedepohls Anhänger verbreiteten, Cämmerer sei ein Freimaurer gewesen und deshalb plötzlich gestorben.“ Der Kontakt beider untereinander war auch nicht zum Besten und es ist überliefert, dass sie lange nur schriftlich miteinander verkehrten.
Als Cämmerer 1859 starb, kam im Konsistorium einiges in Bewegung. Die Tätigkeit eines Hilfspredigers endete mit der Amtszeit seines unmittelbaren Vorgesetzten. Hatten seine Anhänger ihn schon als neuen Pfarrer in Hartum gesehen, irrten sie sich. Es war auch nie beabsichtigt gewesen.
Man muss hierzu wissen, dass Lohmeyer sich erst nach Aufforderung durch einen Mittelsmann des Konsistoriums, den münsterschen Gefängnisgeistlichen Krüger, um die vakante Pfarrstelle in Hartum bewarb. Und man muss wissen, dass Exter dort als beständige Gemeinde galt, ein dort seit Jahren wirksamer Pfarrer wie Lohmeyer sicherlich Ruhe nach Hartum bringen konnte. Es war letztlich vorgesehen, den Hilfsprediger in die Pfarre zu versetzen, aus der der neue Hartumer Pastor kam. In einer soliden Gemeinde wie Exter wäre er sicher gut aufgehoben.
Wie üblich, hielt Pastor Lohmeyer in Hartum eine Probepredigt. Den Wedepohlisten gefiel sie nicht. Eine Abstimmung in der Gemeinde ergab anschließend, dass sie mit ihren knapp 20 Prozent Stimmen gegen Lohmeyer keine Chancen hatten. Das Konsistorium nahm das Ergebnis ernst und betonte später nachdrücklich, nicht gegen den Willen der Gemeindeglieder handeln zu können. Rückschauend wahrscheinlich auch deshalb, weil deren Wahl in seinem Sinne gewesen sein dürfte. Nach beachtlichen Anstrengungen mussten die Anhänger Wedepohls letztlich Carl Lohmeyer als neuen Seelsorger akzeptieren. Der Sprecher dieser Gruppe zog Konsequenzen derart, dass er der Hartumer Kirche den Rücken kehrte und sich nach Minden orientierte.
Man darf sicher unterstellen, dass in Münster diese Lösung eines schwierigen Problems dankbar begrüßt wurde. Zum einen konnte man Carl Lohmeyer als langjährigem, verdienten Pastor ein erhofftes höheres Einkommen in einer finanziell besser gestellten Gemeinde ermöglichen und zum anderen entferntem man einen familiär ungebundenen „Unruhestifter“ aus einem in sich zerstrittenen Gemeinwesen. Ganz ging die Rechnung nicht auf, denn die Hartumer hatten während Lohmeyers Wirken und nach seinem Weggang immer noch Probleme mit ihren Pastoren, was sich u. a. an deren kurzen Amtszeiten zeigt. Erst nach der 1904 erfolgten Trennung der Filialen Nordhemmern und Holzhausen in ein eigenes Kirchspiel schien ein mögliches Grundproblem beseitigt: das mangelnde Zusammengehörigkeitsgefühl in einer aus verstreut liegenden Bauerschaften bestehenden kirchlichen Gemeinde.
Der engagierte Pietist Leonhard Wedepohl betonte u. a., als er nach Exter wechselte: „Nebenpastoren verbiete er sich, er wolle der Gemeinde Exter so viel bieten, dass sie keine Versammlungen außerdem mehr nötig hätten.“ Damit meinte er die Leiter der Konventikel in Exter. Dass er hier wie in Hartum die ihm anvertraute Gemeinde in zwei Lager teilte, ist wieder eine andere Geschichte. Wedepohl wirkte von 1860 – 1870 als Pfarrer in Exter. „Am Ende schließt sich der Kreis!“, ist man versucht zu sagen, wenn man hört, dass beide, Lohmeyer und Wedepohl ihren Weg zur letzten Ruhe in Spenge fanden, wenn auch durch Jahrzehnte getrennt, der eine 1872, der andere 1905.
Carl Heinrich Christian Lohmeyer, Sohn eines Pfarrers in Enger, wurde konservativ erzogen. Viele westfälische Pfarrerfamilien schickten die Söhne in das Internat der rationalistisch orientierten Frankschen Anstalten zu Halle im heutigen Sachsen-Anhalt. Es war dies aber auch die einzige theologische Universität Preußens. Während seines Studiums zog er rationalistisch eingestellte Lehrer vor und begegnete Pietisten wie Tholuck misstrauisch. Er schreibt dazu von einem Mystizismus, der in Halle eingezogen wäre und „Rationalisten und Orthodoxen raufen sich!“
Über die Jahre hinweg vollzog sich ein Sinneswandel. In Exter wird er später Kontakte zu seinem Valdorfer Amtsbruder gehabt haben, wenn auch in der lohmeyerschen Familiengeschichte darüber nichts zu lesen ist. Pastor Schmieding war Pietist und könnte den Amtsbruder aus der Nachbargemeinde in diesem Sinne beeinflusst haben. Den Schluss, dass beide in reger Verbindung standen, kann man daraus ziehen, dass Carl Lohmeyer wie schon erwähnt, die Bücherei Schmiedings kaufte. Dieser verließ Valdorf 1850 nach Amerika, wo er in Quincy wirkte.
Hartum erlebte Vater und Sohn Lohmeyer kurze Zeit als Pfarrer. Das Studium Emils stand unter dem Zeichen den Pietismus und tolerierten einander in ihrer Einstellung zum Glauben. In der vorher entstandenen Chronik von Exter sind Anzeichen zu finden, dass der Verfasser nicht endgültig mit Leib und Seele Rationalist war. Positive Worte findet er besonders für diejenigen seiner Amtsvorgänger, die er als „erweckende“ Prediger bezeichnet.
Es wurde erwähnt, dass während Carl Lohmeyers Amtszeit die Kirche zu Exter erneuert wurde. Diese Erneuerung bestand u. a. im Verputzen des Fachwerkes. Vielleicht wollte man ihr so den Charakter einer kleinen Dorfkirche nehmen. Leider aber führte das dazu, dass die Substanz des Kirchenschiffes so geschädigt war, dass es 1951 abgerissen werden musste.
In der aufgeschriebenen Familiengeschichte nimmt das Wirken Carl Lohmeyers in Exter trotz der langen Amtszeit nur wenig Raum ein. Das liegt vielleicht daran, dass Enkel Eduard sie erst in den 50er- und 60er-Jahren aufzeichnete, nachdem im September 1944 viele seiner Unterlagen (bei einem Luftangriff?) verlorengingen. Dazu vermerkt Enkel Eduard Lohmeyer, dass bereits 1932 bei der Auflösung des Haushaltes seiner Mutter, der ziemlich umfangreiche Bestand an alten Familienbriefen vernichtet wurde. Erfreulich ist, dass Berichte Emil Lohmeyers über seine und seines Vaters Zeit in Hartum erhalten sind. Hatte C. H. C. Lohmeyer seine „“Hartumer Chronik“ in damals üblicher Manier nur jeweils auf die Vorderseite eines Blattes geschrieben, machte Emil seine Aufzeichnungen auf die freien Rückseiten in dem fest gebundenen Buch. Diese Texte fanden sich lange nach Erscheinen unserer „Chronik von Exter““ wieder, sind grob übertragen und harren der weiteren Verwertung. Auch hierzu Dank an die Familie Modersohn in Lippstadt.
Aus solchen Erzählungen und wenigen noch vorhandenen Briefen schöpft Enkel Eduard Lohmeyer noch einiges zu Exter als dem Ort, in dem sein Vater die Kindheit verbrachte. Die Erinnerungen an diese Zeit bezeichnet dieser trotz der notgedrungen einfachen und anspruchslosen Lebensweise als „freundlich“ und er schätzte besonders die Naturverbundenheit, die ihm Exter in seiner ländlichen und durch die damals abwegige Lage ungestörte Umgebung bot. dass er als kleiner Junge einmal in den Dorfteich fiel und nur durch „Nachbars Wieschen“ gerettet wurde, tat solchen angenehmen Erinnerungen augenscheinlich keinen Abbruch.
Es ist schade, dass aus den möglicherweise umfangreichen Aufzeichnungen kaum noch etwas vorhanden scheint. Wohn- und Lebensverhältnisse eines Dorfpfarrers unterschieden sich allerdings nur unwesentlich von denen der Bauern des Kirchspiels und in jenen armen Zeiten hauste man oft genug in „zugigen Löchern“, es wurde schon erwähnt.
Emil Lohmeyer charakterisiert seinen Geburtsort so: „Exter ist ein … Gebirgsdörflein zwischen Herford und Vlotho. Die etymologische Bedeutung von „Exter“ ist „Gebirgsdorf“, denn der Name kommt her von Egge. „Egge“ bedeutet im Altsächsischen „Gebirge“, besonders einen einzelnen hervorspringenden Berg, abgekürzt „Eck“, z. B. „Lahneck“, „Rolandseck“. Exter ist das Dorf zwischen den Eggen. Der eine Berg heißt Egge schlechthin, ein anderer Steinegge, dazwischen liegt „Eggester“ – „Exter“ = Gebirgsdorf. Dies Dörflein war damals noch viel mehr als heute von dem Verkehr abgeschlossen, namentlich zur Winterszeit. Es konnte dann eine ganze Woche vergehen, dass kein Mensch in die Pfarre kam. „Selig ist ein stiller Gang durchs Leben; in der Stille wohnt das Glück!“ Nicht für einen jeden, aber gewiss für den Vater. Er bekam es so, wie er sich es wünschte: eine stille Gemeinde mit einem stillen, ruhigen Volke.“
Das Sprossen-Fenster über der Eingangstür des 1843 bezugsfertigen ’neuen‘ Pastorenhauses ist das ursprüngliche und weist eine bemerkenswerte Sonderheit auf: Einer der Söhne Lohmeyers hieß Hermann. Vielleicht hat er sein „H. Lohmeyer“ in eine der Scheiben gekratzt. Sicher galt er nicht deswegen als das schwarze Schaf in der Familie, als das er später bezeichnet wurde. In späteren Jahren wanderte er nach Amerika aus und beschloss sein Leben in New Orleans.
Wenn man durch die Haustür das heute alte Pastorenhaus betritt, sind es nur wenige Schritte bis zur Treppe, die in den ersten Stock und damit zum genannten Sprossenfenster führt. Diese Treppe spielt eine wichtige Rolle in der Anekdote, mit der dieses Portrait des Pfarrers Carl Heinrich Christian Lohmeyer beendet sein soll:
Emil Lohmeyer schreibt: „Der Vater gehörte … wohl nicht zu den großen Rednern, sondern wie er klein war von Person so auch klein als Prediger – in seinen eigenen Augen am meisten. Aber er war ein gläubiger Prediger und treuer Diener seines Herrn.“ Ausführlich schildert er eine in Exter beobachtete Eigenart: „…wohnte Vater im ersten Stock und wenn jemand zu ihm kam, so begleitete er ihn von seiner Stube die steile Treppe hinunter nach der Hausthür, wo er ihn mit einem warmen Händedruck entließ. Unterwegs aber sprach er seelsorgerlich zu ihm, was ich seine „Treppenrede“ nennen möchte. Als z. B.:
„Nun gehet in Frieden, lieber Meier, aber vergesset eines nicht, daß Gott uns ermahnt. Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern. Das soll also unsere größte Sorge sein auf Erden, nicht wahr?“
„Ich wisse (d. h. gewiß), Herr Pastor“, antwortete der Mann.
„Aber nun können wir nicht selig werden ohne Gebet. Deshalb sollen wir fleißig beten, morgens u. abends und auch wenn wir unterwegs sind. Aber im Leben, da sind wir Menschen so sehr träge, nicht wahr?“
„Ich wisse, Herr Pastor“
„Deshalb seien Sie doch fleißig im Gebet, und dann immer für die Hauptsache am meisten, das ist: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, wie in unserem Katechismus steht, nicht wahr?“
„Ich wisse, Herr Pastor“
Nun hatten sie die Hausthür erreicht und dann verabschiedete sich der Mann mit den Worten: „Eck bedanke mir auk vor de schönen Ansprake, Herr Pastoher.“
Aus Pastor Lohmeyers Lebensbeschreibung in: „Chronik von Exter“