Sommergold

Sommergold(aus Z08 gwsplitter »Hagelfeiern und Erntehahn«)
Text: Hanna Christ

Ja, es war ein wundervoller Sommer! Frühmorgens lag das helle Licht über der blühenden Landschaft, der Tau auf den Gräsern glänzte und die goldenen Kornähren flimmerten in der Morgensonne. Es roch förmlich nach Sommer und guter Erde.

2013 - Getreidefeld im Arnholz in Exter

Bild: 2013 – Getreidefeld im Arnholz in Exter, im Hintergrund die Egge in Schwarzenmoor. Bis zur Ente hat es jetzt, im Juni, noch einige Zeit. Mohnblütenpracht sieht man heute kaum noch, das gilt auch für Kornblumen.

Doch heute hatte ich nicht die Zeit, darüber nachzudenken, schon seit sieben Uhr morgens band ich die schweren Erntegarben. Meine beiden Onkel schritten rasch voran und mähten mit scharfer Sense den langen, reifen und goldgelben Roggen. Es rauschte gewaltig, wenn die Sense die harten, langen Halme traf, den lieben langen Tag hörte man „ritsch“ “ und „ritsch“ und „ritsch“. Meine beiden Tanten gingen hinter je einem Mann her und rakten mit einer großen Holzharke die langen Halme zu einer Korngarbe zusammen. Sie mussten flink und fleißig sein.

Meine Aufgabe war es, von einigen langen Halmen ein Seil zu drehen und es dann husch, husch unter die von Tante Marie mit der Harke hochgehobene Garbe zu schieben. Dann musste man die Halme tüchtig zusammendrücken und das Seil mit viel Kraft und Mühe fest um die Garbe binden. Die Garben wurden später zu Hocken. Dann mussten sie auf dem Feld Sonne und Wind, Sturm und Regen standhalten, bis sie trocken geworden endlich eingefahren werden konnten.o. J. Erntepause auf Reckefuß' Feld auf dem Pivit in Exter.

Bild: o. J. Erntepause auf Reckefuß‘ Feld auf dem Pivit in Exter.

Wenn bei der Ernte die Sonne unbarmherzig vom Himmel brannte, lief mir das Wasser in Strömen von der Stirn, aber das musste man durchhalten. Glaubte man, es nicht mehr aushalten zu können und vor Durst schier umzukommen, durfte man zum Feldrain laufen. Dort stand eine Milchkanne. Morgens wurde sie mit eiskaltem Brunnenwasser gefüllt , in das Brot und Brotkrusten eingebrockt waren. Dieser Trank schmeckte unbeschreiblich köstlich und erschien so stärkend und erfrischend, daß man anschließend wieder längere Zeit gut arbeiten konnte. Manchmal hörte ich meine Onkel sagen: »Nicht so viel«, wenn ich zu oft an die Kanne ging. Richtig, trinken wollten ja alle etwas, es galt recht tapfer zu sein und den schrecklichen Durst eine Weile zu ertragen. War um zwölf Uhr mittags Pause, waren alle heilfroh, die anstrengende Arbeit erst einmal unterbrechen zu können.

Großmutter hatte derweil ein köstliches Mittagessen gekocht. Auch im Gemüsegarten war Erntezeit, und es gab wie üblich frische, grüne Bohnen mit Wurzeln (wie die Möhren auch genannt wurden) Ein ordentliches Stück geräucherter durchwachsener Speck verlieh die Würze. Das Tüpfelchen auf dem „i“ waren die frisch gereiften und kleinen Sommerbirnen, die Oma zum Schluss noch mitgekocht hatte. Als Nachtisch gab es Rote Grütze und für einen meiner Onkel extra Dickmilch mit Zucker und Zimt, was er leidenschaftlich gerne aß. Ich selbst mochte so etwas nicht und staunte, mit welcher Wonne er das verputzte. Dann war eine kurze Ruhepause angesagt, und man legte sich für eine halbe Stunde einfach ins flache Gras unter die schattigen, hohen Bäume die den nahe gelegenen Hof umgaben. Um ein Uhr begann das schwere Werk von neuem, und vier Uhr nachmittags brachte Oma eine ordentliche Kanne voll Malzkaffee mit viel Milch auf das Feld. Dazu gab es leckeren frisch gebackenen Apfelkuchen, den wir auf den Garben sitzend mit Wohlbehagen aßen.

2009 - Erntezeit. Ein seltener Anblick, Kornstiegen vor der Egge im Nachbarort Schwarzenmoor.

Bild: 2009 – Erntezeit. Ein seltener Anblick, Kornstiegen vor der Egge im Nachbarort Schwarzenmoor. Hier waren die Freunde von Lindemanns Windmühle in Exter am Werk und haben gesät, geerntet; es muss nur noch gedroschen und Mehl gemahlen werden.

Zum Feierabend um sieben Uhr abends erschien es uns, als sei ein riesiges Stück Acker gemäht worden. Wir waren glücklich, den Rücken wieder gerademachen zu können, zufrieden mit dem gelungenen Tagewerk, der vollbrachten Leistung und rechtschaffen feierabendmüde. Nun gingen wir gemeinsam in das große und kühle Bauernhaus und saßen um den Familientisch. Abends gab es meist den »Rest von der Gemüsesuppe« vom Mittagessen, ergänzt mit einem ordentlichen Stück Mettwurst. Oma hatte als Nachspeise meist eine wunderbare Reissuppe mit Eierklößen gekocht, die wir förmlich verschlangen. Großmutter war eine gute Köchin, eine sehr gute sogar. Das obligate Tischgebet durfte nicht fehlen, alles musste seine Ordnung haben. Dazu gehörte die Dankbarkeit für alle guten Gaben und das gute Wetter, bei dem die Arbeit so gut gelungen war.

um 1935 - Seinerzeit modernste Landmaschinentechnik

Bild: um 1935 – Seinerzeit modernste Landmaschinentechnik: Dreschkasten der Firma Standardwerk W. Schulze, Hannover, angetrieben wurde er mittels Lokomobile oder mit einem Traktor, sofern vorhanden.

Für mich aber war es nun Zeit, an den Heimweg zu denken, für den ich mit dem Fahrrad mindestens eine Stunde brauchen würde. Als Wegzehrung für unterwegs schenkte mir Oma noch eine dicke Schnitte vom goldgelben, selbstgebackenen Rosinenstuten mit Zucker drauf und dicker Bauernbutter bestrichen, eine leckere Sache. Bevor ich mich auf den Weg machte, zog mich Tante Marie leise und geheimnisvoll in ihr Schlafzimmer. Dort stand eine wundervolle gol-den schimmernde Glasvase mit herrlichen, verschiedenen gelben Blumen aus ihrem Blumengarten, der ihr ganzer Stolz war. Sie hatte alles mit viel Geschmack und Liebe arrangiert, wie sie liebte auch ich schöne Blumen und überhaupt schöne Dinge über alles. Die Vase leuchtete und strahlte im Abendlicht. Innerhalb der Familie erwartete man früher außer den Mahlzeiten eigentlich keine besondere Bezahlung oder Belohnung und ich freute mich sehr über dieses hübsche Geschenk, das mir die Tante mitgab. Es war für mich damals der Inbegriff eines ganzen Sommers.

Anmerkung: In Heftausgaben sind aus technischen Gründen Abbildungen generell in s/w-Ausführung enthalten.