(s. a.: L15 – Spurensuche 15 – Winterberg sowie R04 – Vor 175 Jahren)
Text hier: Wilfried Sieber
„Er hatte Kenntnis von dem Evangelio, vielleicht auch mochte er von der Kraft desselben etwas erfahren haben, aber nicht so viel, daß er von seiner Unlauterkeit gereinigt, und das unanständige Verhältnis löste, worin er sich befand. Da er nun Gaben hatte, so ließ er auch sein Licht leuchten, und erkühnte sich, in Häusern bei Taufen Vorträge zu halten. … in [Exter] hielt er an dem Sarge des alten Kolon König zu Solterwisch Nr. 15 … einen Vortrag.“
Bild: (2000) Die heutigen Bewohner der Hofstätte halten das mit einem Eisengitter eingefriedete Grab in einem guten Zustand.
Der, mit dem 1854 Exters Pastor C. H. Lohmeyer, so ins Gericht ging, war Carl Heinrich Otto von Tschirschky-Boegendorff, geboren im Jahre 1802, gestorben im Jahre 1833 am 9. Juni. Er entstammte einer schlesischen Adelsfamilie und war in Potsdam Offizier in preußischen Diensten. Diesen Dienst quittierte er, als sein Glaube ihn mit Kirche und König in Konflikt brachte. Er trat aus der Armee aus und folgte einem Valdorfer Bauern in dessen Heimat.
In den Augen Konservativer galt er als Störer der öffentlichen Ordnung; er soll in der Valdorfer Kirche während eines Gottesdienstes gegen die Kanzel gepredigt haben: „Ihr armen Schafe, ihr habt einen schlechten Hirten!“ Als Tatsache kann aber niedergelegt werden, dass der Valdorfer Pastor und der Vlothoer Amtmann Poelmann überreagierten.
Bild: (1933) 100-Jahr-Feier an Tschirschkys Grab. Sein Nachfahre Georg Michaelis (1857-1936), deutscher Jurist und Politiker, Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident (1917) spricht gerade.
Kurze Zeit später sprach von Tschirschky auf dem Winterberg (genauer gesagt, auf dem Hof Buschmeyer/Winter, heute Schröder) vor etwa 150 Menschen vom rechten Glauben, wie er ihn empfand. Diese Gelegenheit war willkommen, ihn „wegen unerlaubten Bettelns und wegen Proselytenmacherei“* zu verhaften und ihn im Gefängnis an der Burg Vlotho festzusetzen. Hier erkrankte er an Lungenentzündung und Gallenfieber, trotz besserer Unterbringung und ärztlicher Versorgung starb er an den Folgen.
* Proselyt = Neubekehrter
Von Tschirschky wurde und wird falsch häufig als Quäker bezeichnet. Wahrscheinlich, weil er Umgang mit ihnen hatte und ihre Ansichten teilte. Außerdem fand er seine letzte Ruhe nicht auf einem Friedhof, sondern auf privatem Grund, was Quäkerbrauch entsprechen konnte. Er war ein Eiferer und seine eigene Auffassung vom Evangelium sowie ein tief empfundenes Sendungsbewusstsein wurden ihm zum Verhängnis. Das von Pastor Lohmeyer angeprangerte „sündige Verhältnis“ dauerte nur knapp ein Jahr und wurde nachträglich legitimiert.
Bild: 2009 – Der Schröderhof auf dem Winterberg an der von-Tschirschky-Straße. Neben dem kleinen Schuppen am linken Bildrand ist die o. a. Grabstelle zu erkennen.
Seit langer Zeit schon ist das „einsame Grab“ Ziel nicht nur seiner Nachkommen. Zum „Tag des offenen Denkmals“ im September 1997 hatte die Geschichtswerkstatt diesen Ort mit seinem nach einem ungeheuren Geheimnis klingenden Namen aufgesucht. Zwei besondere Gäste erzählten aus dem Leben ihres Vorfahren: der in der Zwischenzeit verstorbene 92jährige Gottfried Michaelis als Urenkel und Adrian von Tschirschky und Boegendorff als Vorsitzender des Familienverbandes Tschirschky.
Der emeritierte Pfarrer von Valdorf, Ludwig von Behren, hat sich nach aktuellen Quellenfunden genauer mit den damaligen Ereignissen beschäftigt und als Ergebnis liegt in unserer Schriftenreihe sein „Beitrag zur Ortsgeschichte“ mit dem Titel „Vor 175 Jahren“ vor.