(aus: „SD11 40 Jahre Kindergarten Exter“)
Text: Stephanie Brink und Stephanie Greco
Bildunterschriften: Geschichtswerkstatt
Vorwort:
Die Intention des Buches ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Pädagogikkonzepten und politischen Diskussionen zum Thema Erziehungsauftrag und will auch nicht als solche verstanden werden. Es geht um die Dokumentation und Darstellung der Entstehung und Weiterentwicklung des Kindergartens in Exter zum modernen Familienzentrum. So entstand ein Überblick über einen Teil Ortsgeschichte, den viele Menschen im Ort vier Jahrzehnte hindurch aktiv miterlebten und der für viele als Eltern sowie zunehmend als Großeltern noch immer zum Alltag gehört.
Wie alles begann Für die Gemeinde Exter stand seit einigen Jahren fest: ein Kindergarten musste her! Schon im Jahr 1964 führte die Gesamtdeutsche Partei in ihrem Wahlaufruf an die Bürger in Exter einen wichtigen Punkt an: den Bau von Kinderspielplätzen und die Einrichtung eines Kindergartens.
Bild: 10. November 1969 – Viele waren gekommen, um dem Anliegen von fünf Müttern in Exter Nachdruck zu verleihen: Große und kleine Leute, Ponys …
Während dieser Aufruf weitestgehend im Sande verlief, wurde die Forderung nach einem Kindergarten im Jahr 1969 ganz konkret aufgegriffen: Fünf engagierte Mütter engagierten sich energisch für die Einrichtung eines Kindergartens. Als Wortführerin und treibende Kraft zeigte sich hier Dr. Christiane Bernsdorff-Engelbrecht, Gattin des Dorfarztes Dr. Hans Bernsdorff. Des Weiteren sind zu nennen: Maria Ditsch, Brigitte Dröge, Gerda Hilmert und Inge Wilke. Die Damen erstellten in einer Auflage von etwa 1200 Exemplaren ein Flugblatt, das gleichzeitig als Umfragebogen gedacht und von ihnen an alle Exteraner Haushalte verteilt wurde. Auf diesen Bögen war der Wunsch nach einem Kindergarten anzukreuzen.
Bild: 1995 – Mitten im Ort, gleich neben der Grundschule ist die „Villa Kunterbunt“ zu finden.
Auch in Läden und Gaststätten wurden diese Flugblätter ausgelegt. Die Aktion fand ein lebhaftes Echo! Bemängelt wurde von Frau Dr. Bernsdorff auch die Tatsache, dass Kindergärten in anderen Gemeinden schon mit modernsten Mitteln eingerichtet wurden, während es in Exter sogar an einfachen Spielplätzen für die Jüngsten haperte. Immer wieder durch Gemeinderäte und Politiker vertröstet, machten die Frauen ihrer Verärgerung Luft, und ergriffen die Initiative. Angeschrieben wurden Parteien, der Bürgermeister, diverse Zeitungen etc.
Geschehen ist bisher noch nichts! Während in Valdorf und anderen Gemeinden Kindergärten mit modernsten Mitteln eingerichtet wurden, sind die Exterschen Mütter und Kinder nach wie vor auf der Suche nach einem Spielplatz, nach einem Kindergarten. Bisher sind sie immer noch einzig auf die Straße angewiesen (ohne Bürgersteige und Zebrastreifen!).
Die alte Schule steht frei. Räumlichkeiten – das Wichtigste in diesem Fall – und Spielplatz wären also vorhanden. Auch eine Kindergärtnerin wird sich finden, die den Kindergarten betreut. Sogar finanzielle Mittel stehen Im Haushaltsetat bereit, und es droht womöglich die Gefahr, daß man die Gelder für unser Projekt bis zum 1. Januar 1970 anderweitig verwendet, wenn sie nicht sofort sinnvoll eingesetzt werden können.
Was fehlt, ist – so glauben wir – nun endlich einmal mehr Initiative und Einigkeit bei unseren Gemeindevertretern und allen anderen zuständigen Stellen. Deshalb greifen wir zur Selbsthilfe und richten unseren Aufruf an alle interessierten Familien in Exter: Wünschen Sie einen Kindergarten? Wenn ja, dann bitten wir Sie, den unteren Abschnitt auszufüllen, zu unterschreiben und bei einer der Unterzeichneten (Briefkasten) bis zum 26. 9. 1969 abzugeben. Bei ausreichender Beteiligung wollen wir gemeinsam weitere Schritte unternehmen.
Bild: 2000 – Der Eingang nach dem Erweiterungsbau von 1993
Zum Ende der Umfrage am 26. September 1969 waren an die 250 Unterschriften zu verzeichnen. Die Kindergartenfrage sollte nun dem Sozialausschuss und dem Rat der Stadt Vlotho zu ihrer Ratssitzung vom 13. Oktober vorgelegt werden. Erste Überlegung: das alte Schulgebäude an der Kirche wurde zunächst als Kindergartengebäude in Erwägung gezogen, da es kostensparend, zweckmäßig und schnell zu verwirklichen wäre. Nach einer Ortsbegehung durch die zuständige Kommission kam man aber zu der Auffassung, dass das Vorhaben, zwei Klassenräume als Kindergarten einzurichten, wegen des Fehlens ausreichender, den Altersstufen entsprechender Sanitäranlagen nicht durchzuführen sei.
Angedacht wurde die Errichtung eines Neubaus, der laut Ortsvorsteher Obernolte aber zweifellos viel kostenintensiver käme, und somit die alte Schule dem Ganzen doch vorzuziehen sei. Von der Kirchengemeinde wurde ein Neubau auf dem Gelände des früheren Schulgartens nahe der alten Schule vorgeschlagen. Allerdings würde ein solcher wohl ungefähr 100.000 D-Mark kosten – eine Summe, die in der nächsten Zeit nicht aufzubringen gewesen wäre.
DER NIKOLAUS 10. November 1969
als Sonder-Beauftragter aller Exterschen Kleinkinder und ihrer Mütter
Liebe Vlothoer Stadtväter!
Eigentlich wäre für diese Amtshandlung mein himmlischer Kollege St. Martin zuständig; da der aber gerade in diesen Tagen andernorts schon seit langer Zeit fest engagiert ist, hat er mich mit der Wahrung der Exterschen Interessen beauftragt.
Ich tue das umso lieber, als ich 1.) gerade vor Weihnachten noch ein bißchen Zeit habe, 2.) für Überraschungen im Himmel und auf Erden zuständig bin, 3.) im Gegensatz zum Heiligen Martin, der ja nur seinen Mantel zerteilen kann, über das in diesem Falle sehr nützliche Requisit einer Rute verfüge, die ich Sie bitte, sich zusammen mit diesem Schreiben hinter den Spiegel zu stecken und jeden Morgen an das zu denken, was ich Ihnen jetzt vortrage:
Bitte, sorgen Sie dafür, daß endlich auch die Exterschen Kinder zu ihrem Kindergarten kommen. Sie haben keinen Sportplatz, keinen Spielplatz, kein Freibad. Sie haben an ihren verkehrsreichen Straßen keine Bürgersteige, keine Zebrastreifen. Die I-Männchen der Exter-schen Schule sollen keine gelben Ponchos zur Werbung für die Verkehrssicherheit kriegen, und sie haben niemanden, der sie über die Straße führt. Dafür haben die Kinder täglich mindestens 150 Kies-LKWs auf den Exterschen Straßen und eine Turnhalle, in die es (augenblicklich gerade nicht) hineinregnet.
Sie, liebe Stadtväter, wissen wie ich und alle aufgeschlossenem Eltern, daß der Kindergarten keine Bewahranstalt ist, sondern dazu dient, die Kinder auf die Sohule vorzubereiten und damit das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land auszugleichen, das sich besonders zeigt, wenn Dorfkinder den Anschluß an weiterbildende Schulen in der Stadt erreichen wollen.
Bitte, helfen Sie den Exteranern, sie haben es verdient: Schließlich verrate ich Ihnen noch ganz im Vertrauen von Mann zu Mann – daß sich die Exterschen Frauen und Kinder vorgenommen haben, Ihnen so lange mit ähnlichen Überraschungen aufzuwarten, bis sie ihren Kindergarten haben.
Mit himmlischen Grüßen Ihr
Anlage: 1 Rute*
Da die verschiedensten Überlegungen von Räten, Ausschüssen und der Gemeinde zu keinem Ergebnis führten, rief dieses wieder die engagierten Frauen auf den Plan: Am „Laternentag“, Montag, der 10. November 1969, um 17:00 Uhr trat der Vlothoer Stadtrat in der Gastwirtschaft Ellermann in Exter zu einer Sitzung zusammen, in der auch die Kindergartenfrage auf der Tagesordnung stand. An diesem Abend sollten die Stadtväter mit dem Kindergartenproblem konfrontiert werden. Nach einem Laternenspalier aller interessierten Eltern sollte nach einem Laternenumzug von der Schule zum Gasthaus Ellermann ein „Brief vom Nikolaus“ überreicht werden. Eine Einladung der fünf Mütter wurde überall im Dorf verteilt und ausgelegt.
Bild: 2013 – Die den Kindergärten zugeordnete U3-Betreuung machte 2012 erneute Baumaßnahmen notwendig. Hierfür bot sich die ehemalige, leer stehende Schulleiterwohnung an, die besonders die Bedürfnisse der Kleinsten berücksichtigt, wie auch der Spielbereich im Außengelände.
Mit Laternen und Ponys, Spruchtafeln und Demo-Plakaten bewaffnet, ging es für etwa hundert Beteiligte durch das Dorf. Der Bürgermeister Rudolf Kaiser erhielt von den kleinen protestierenden Jungen und Mädchen eine große Rute und einen Bittbrief. Doch was half es? Die Lösung der Kindergartenfrage wurde zeitlich innerhalb der nächsten drei Jahre angestrebt. Die zu der Zeit ca. 50 Jungen und Mädchen im Alter von drei bis fünf Jahren würden sich wohl noch etwas gedulden müssen oder die Hoffnung an jüngere Geschwister abtreten.
*Red. Anmerkung: Als dann Jahre später in Exter doch endlich ein Kindergarten errichtet wurde, gab der Bürgermeister die Rute mit einem Erledigungsvermerk zurück.