(aus: Z03 GW-Splitter – Als ob Natur die Trödelbude …)
Text und Bilder 1,2,4: Hanna Christ
Bild 3 und Texte zu den Bildern: Geschichtswerkstatt Exter
Bild: Haus Schmiedeskamp um 1985, Südansicht
Seitlich der heutigen Straße „Am Exterbach“ – gleich hinter der Gastwirtschaft Ellermann – lagen an einem sonnigen Südhang, umgeben von Obstbaumwiesen, die beiden roten Backsteinhäuser der Familien Hachmeister und Schmiedeskamp. Hier wurde ich am 20. August 1927 geboren als Tochter des Adolf Schmiedeskamp und seiner Ehefrau Anna, geb. Blöbaum. Meine Großmutter mütterlicherseits war eine geborene Droste, worauf sie stolz war. Ihren Enkelkindern gegenüber betonte sie jedoch stets, daß auf Erden nur die eigene Leistung zähle. Im Kreise meiner Geschwister erlebte ich hier eine wunderschöne Jugendzeit. Vor allem liebte ich den Sommer mit seinen wogenden gelben Kornfeldern, dem roten Mohn, blauen Kornblumen, der weißen Kamille und den kleinen weißen Rädchen der Kornraden am grünen Wiesenrain.
Das Dorf bot uns viel Platz und Freiheit zum Spielen und neben meiner allerersten Freundin, Hilde Held, die auf Reckefuß‘ Hof lebte, lernte ich nach und nach viele andere Menschen kennen und lieben. Mit etwa vier Jahren besuchte ich fleißig meine besondere Freundin Oma Klusmeier. Nach ungefähr zehn Minuten Fußweg stand ich im Sommer vor einer kleinen Pforte in der grauen Hofmauer. Sie war von einem grünen Bogen aus grünen Buchenblättern überspannt, der einem sofort ein Gefühl von Geborgenheit gab. Solche Buchenhecken fand man früher auf vielen Gehöften, hier auf Klusmeiers Hof wurde sehr auf solche Traditionen geachtet.
Bild: Eingang Haus Klusmeier um 1985. 1666 stand hier der Krug Klusmeier, in dem Bauern aus Exter und der Nachbargemeinde den Entschluss fassten, sich wegen Gründung einer eigenen Kirchengemeinde an den Großen Kurfürsten von Brandenburg zu wenden. Dem Antrag wurden nach manchem Hin und Her stattgegeben.
In der hellen, großen Wohnstube mit den dunkelbraunen, glänzenden Bodendielen stand der Esstisch mit Bank und Stühlen direkt unter den beiden Fenstern mit den üblichen roten Geranien. Neben der Eingangstür stand in einer Ecke ein runder Tisch mit dicker roter, bis zum Fußboden reichenden Plüschdecke. Meist saß hier mit Blick zum Fenster Großmutter Klusmeier mit ihren weißen Haaren. Sie war immer so freundlich, daß ich bald Zutrauen fasste, und ich erzählte ihr alle meine kleinen Freuden und Leiden, wozu sie mich häufig ermunterte und oft schallend dabei lachte. So brachte ich ihr Abwechslung in den eintönigen Alltag. Das machte sie fröhlich, denn alle anderen Hausbewohner hatten immer viel zu tun in Garten und Feld. Sie versprach mir auch, daß ich mir zu Ostern ein Osterei abholen dürfe, was ich dann auch begeistert tat.
Zu Ostern gab es vom Bauern für die Kinder nur dann ein Ei, wenn man am Palmsonntag vor dem Bauernhaus „Palmen“* gestreut hatte. Wurde man dabei von jemandem auf solchen Besuch Lauernden überrascht und mitsamt der Zweige mit Wasser überschüttet – deshalb nannte man diesen alten Brauch „Palmenlöschen“ – gab es keine Belohnung, also kein Osterei. Es galt daher, möglichst heimlich und schnell die Palmen zu streuen. Die Bauern passten allerdings ganz schön auf. Doch wenn man nass wurde, gab es Gejuchze und Gekreisch in diesem Spiel mit viel Spannung und Spaß. So erarbeitete man sich schon als Kind den Segen und die Fruchtbarkeit des Frühlings, es gab nichts geschenkt, wie ja auch die Bauern für ihre Erträge arbeiten mussten.
* Hierzulande nahmen meist Weiden- oder Haselzweige diese Aufgabe.
Bild: „Oma“ Vogelsang vom Pivit
Eine weitere schöne Erinnerung habe ich an eine andere Oma. Es war die freundliche, immer fröhlich lächelnde Oma Vogelsang vom Pivit. Jede Woche besuchte sie uns nach einem Fußweg von etwa dreiviertel Stunden und brachte unserer Familie eine dicke, goldgelbe Rolle Butter von etwa vier Pfund. Sie wurde, wie es auf allen Höfen damals selbstverständlich war, aus der Milch der eigenen Kühe produziert. Wir Kinder freuten uns jedes Mal auf ihren Besuch, denn sie hatte eine besondere Anziehungskraft. Sie erschien immer in schwarzer Kleidung mit einem riesigen runden Kapotthut, der mit einer großen schwarzen Schleife unterm Kinn festgebunden war. Ein uns gewaltig erscheinender schwarzer Schirm war ihre Gehstütze, die Butter trug sie in einem schwarzen Beutel. Oft schien die Sonne, wenn sie kam, und ihre Brillengläser funkelten dann in dem hellen Licht. Im Gedächtnis ist mir immer noch ihr freundliches Gesicht mit roten Backen und kleinen Grübchen.
Bild: um 1935 – Großmutter Johanna Schmiedeskamp, geb. Bröker aus Herford mit den Enkelkindern Hanna (die Autorin), Christel (?) und Werner
Natürlich hatten wir im Haus auch eine eigene Oma. Für uns Kinder war sie eine rechte Zuflucht. So wiegte sie einmal meine kleine Schwester Christel auf dem Schoß zum Trost hin und her und sang dabei: „Ssige, ssare, hott de Wage, Holt in’t Fuier, de Kohle ssind duier!“ Ich ging derweil im Kreise in der Küche herum und jammerte, denn ich hatte eine kleine Entzündung in der Wange. Sie legte mir mit einem Pflaster eine Scheibe Speck auf die Wange und sagte: „Das zieht das „Schlechte“ raus‘ und heilt die Entzündung.“ Es half und überhaupt hatten alle Familien ihre eigenen Hausmittel. Auf jedem Hof wuchs der Holunderstrauch, dessen Blüten und Beeren genutzt wurden. Das galt auch für Tee aus Lindenblüten oder Kamille gegen viele Krankheiten. So brauchten alle sehr selten einen richtigen Arzt. Im übrigen saß Oma in einem Korbsessel am Herd in der Wohnküche und strickte fleißig Strümpfe, unter anderem auch die von der Bauersfrau von Lindemanns Windmühle oben in Solterwisch bestellten. All-abendlich rührte die Oma fleißig für die ganze Familie Haferflocken-suppe als Nachtisch nach der üblichen Gemüsesuppe.
So wurden Omas als vollwertige und nützliche Familienmitglieder von allen gebraucht und geliebt.