(mit Illustrationen im „Vlothoer Anzeiger“ erschienen am 12. November 1932 – Wir danken für die freundliche Nachdruckgenehmigung)
der Ritter Kurt von Greifenklau. Er liebte nicht das Streiten
im Krieg und rümlichen Turnier. Den bösen Kurt erfreute
die Jagd auf Feld- und Waldgetier und fette Kaufmannsbeute.
Hoch über Vlotho hauste er im weiten Waldgehege.
Ein Wächter gab vom Turme her gut acht auf Fluss und Wege,
auf Wagen, welche ohne Rast entlang am Ufer rollten,
auf Schiffe, welche ihre Last dem Ritter geben sollten.
Vom Turme klang ein Hornsignal, der Wächter rief: „Es kommen
zwei große Schiffe dort zu Tal in voller Fahrt geschwommen.
Die Mindner sind’s mit Sack und Pack!“ Da sprach Herr Kurt mit Lachen:
„Das ist der junge Pfeffersack, den woll’n wir kirre machen!“
„Schon gestern kam ein Späher an und meldete, dass Waren
des reichen Kaufmanns Winkelmann nach Minden sollten fahren.
Auf einem Schiffe wär‘ sein Sohn, des Vaters Gut zu schützen.“
Die Knechte schrieen voller Hohn: „Das soll ihm wenig nützen!“
Noch schien der Abendsonne Strahl, als es im Gange klirrte,
der von der Höhe bis ins Tal durchs Bergesinnre führte.
Herr Kurt stieg eilends von der Burg mit seinen Räuberscharen.
Die Ketten klangen, welche durch den Fluss gezogen waren.
Des ersten Schiffes Bug zerbrach an dem gespannten Eisen,
das zweite krachte gleich danach. Zu Ende war das Reisen.
Vom Ufer stießen Nachen ab, darinnen saß der Ritter
mit Schwert und Spieß, mit Knecht und Knapp‘. Jetzt Kaufmannssöhnchen, zitter!!
Der Kampf war kurz. Herr Kurt gewann. In seinem Nachen stöhnte
gefesselt Walther Winkelmann, der wilde Ritter höhnte:
„Du kommst ins Burgverlies, mein Held, und schickt in vierzehn Tagen
der alte Herr kein Lösegeld, wird’s Köpfchen abgeschlagen!“
Im Winkelmannschen Hause war zu Minden große Trauer.
Die Mutter weinte immerdar, des Vaters Haar ward grauer.
Es war die schöne Maid Torild, das Pflegekind der beiden,
die ihren guten Mut behielt. Sie mochte Walther leiden.
„Ich weiß schon, was zu machen ist, den Walther hol ich wieder!
Ich rette ihn durch kluge List, mir helfen meine Lieder.“
Sie sprach’s und zog sich Hosen an, ließ ihre Laute klingen
und kam zur Burg als Sängersmann, ein Liedlein dort zu singen.
Beatrix hieß des Ritters Frau. Ihr Leben war recht trübe.
Der edle Herr von Greifenklau war sparsam mit der Liebe.
Der Rundfunk war noch nicht bekannt, sie las nicht eine Zeile,
sie hörte nichts aus Stadt und Land und starb vor Langeweile.
Sie bat den Herrn Gemahl: „Ach du, lass doch den Sänger kommen!“
Er knurrte nur: „Lass mich in Ruh!“ Torild erschien beklommen.
Sie sang so süß, sie sang so rein von Liebe, Kampf und Ehre,
und keinem Menschen fiel es ein, dass sie ein Mädchen wäre.
Am nächsten Tag ritt Greifenklau in früher Morgenstunde
zur Jagd auf Wolf und Hirsch und Sau, ihm folgten Knecht‘ und Hunde.
Torild schloss auf die Kerkertür, und eh die Jagd zu Ende
saß Walther schon im Boot mit ihr und küsste ihre Hände.
Wie fluchte Herr von Greifenklau, als er besah den Schaden!
Torilde wurde Walthers Frau. Kurt war nicht eingeladen.
Bald traf den Ritter sein Geschick. Es war verdient, doch schaurig.
Er fiel und brach sich das Genick. Die Witwe war nicht traurig.
E. B.
Zum Thema schreibt Karl Grossmann 1971 in „Geschichte der Stadt Vlotho“: „Wenn auch die archivalische Forschung und die Ausgrabungen noch manche Frage über die Geschichte der Burg offenlassen, das eine ist jedoch mit Sicherheit festgestellt worden: von dem allen Vlothoern bekannten Raubritter Kurt von Greifenklau, der um 1300 die Weserschiffe mit Ketten an der Weiterfahrt hinderte und diese dann mit seinen Mannen unter Benutzung eines unterirdischen Ganges von der Burg zum Weserufer überfiel, ist keine Spur entdeckt worden. Er ist eine Erfindung des Schriftstellers Fr. 0. H. Weddigen, der in seinem Buche „Von der roten Erde“ u. a. die historische Erzählung Kurt von Greifenklau« veröffentlichte. Harland hat sie 1880 in seiner „Geschichte der Herrschaft und Stadt Vlotho“ abgedruckt und dadurch allgemein bekannt gemacht. Der von ihm dargebotene Stoff ist später in eine Ballade* und zwei Theaterstücke umgewandelt worden, von denen das eine … 1927 aufgeführt wurde.
* = s. o.
Zu ergänzen wäre noch, dass ein Verbindungsgang von der Burg (Brunnen?) durch den Berg bis hinunter in die Stadt zu den Dingen gehört, über die immer wieder geredet wird, gefunden wurde bislang nichts. Doch wer weiß schon, was all die Dinge verbergen mögen, die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten seit der Freilegung des Brunnen hineinwarfen. Denn seine ursprüngliche Tiefe hat er schon lange nicht mehr …