Die Erdfälle von Vlotho

Die Erdfälle von Vlotho(aus: L12 – Spurensuche XII)
Text: Hans-Peter Märgner
Ein weitaus ausführlicherer Artikel zu diesem Thema erscheint im Herforder Jahrbuch 2007

Unheimliches Geschehen bei Bad Seebruch – Am 15.06.1970 brodelte es in Bad Seebruch. „Tiefer Krater im Kurbad Seebruch“ titelte eine Vlothoer Zeitung: „Am Montag gegen 16.30 Uhr kam der Heizer Felix Fichtner aufgeregt in das Kurbadbüro gelaufen und rief: „Bad Seebruch versinkt im Moor“. Vor den Augen der Angestellten versanken „Moortrichter“ und das am Rand liegende Brunnenhaus mitsamt Pumpenanlage in einem unheimlichen Krater. Der Erdfall erregte durch sein plötzliches Entstehen und befürchtete wirtschaftliche Folgen für den Kurbetrieb großes Aufsehen in Presse, Hörfunk und Fernsehen. Was war geschehen?

Bad Seebruch nach dem erneuten Einbruch am 15.06.1970 (1)Bild: Bad Seebruch nach dem erneuten Einbruch am 15.06.1970 (1)

Auf dem Gelände des heutigen Bad Seebruch hatte es vor etwa 8000 Jahren einen Erdfall von 50 m gegeben, in dem sich Wasser sammelte und sich eine Torflagerstätte bilden konnte. Dieser Moortrichter war ein weiteres Mal eingebrochen. Innerhalb zweier Stunden sackte das Moor im Zentrum um acht Meter ab. Immer wieder brachen Stellen nach und dimensionierten die Erdfallquelle auf 80 m Durchmesser und 25 m Tiefe.

Schnell drang das mineralisierte Grundwasser in den Trichter ein, zeitweise stieg es 22 cm pro Stunde. Stündlich strömten 400 cbm Wasser aus dem Erdloch in die Linnenbeeke. Blasen stiegen auf; unterirdische Hohlräume liefen voll, Luft drängte sprudelnd hoch. Die Nachbarbäder Salzuflen und Oeynhausen fürchteten um ihre Mineralquellen. Als sich tiefe Risse an den Gebäuden zeigten, wurde das Kurbad zunächst geschlossen. Die Bodenplatten barsten, als Wasser in die Wannenhalle drang. THW und Feuerwehren aus dem Kreis pumpten das Wasser ab und leiteten es in die Linnenbeeke.

Bad Seebruch nach dem erneuten Einbruch am 15.06.1970 (2)Bild: Bad Seebruch nach dem erneuten Einbruch am 15.06.1970 (2)

Sicher ist dieses Erlebnis den meisten der Kurgäste ihr Leben lang in Erinnerung geblieben. Erst im August 1970 konnten einige Gebäude zum Teil wieder genutzt werden. Die steile Böschung im Randbereich des Erdfalles wurde im Januar 1971 mit etwa 37.000 t Kalk- und Tonmergelsteinen stabilisiert.

Geologie der Erdfälle – Solche Erdfälle sind seit dem Erdzeitalter Devon nachzuweisen und sie entstehen immer noch. Jede größere Salz, Kalk- oder Gipsmasse kann durch Verkarstung Erdfälle bilden.

Das Gebiet um Vlotho wird im wesentlichen von den Keuperschichten der Trias aufgebaut. Eine Besonderheit ist die zwischen der Piesberg- Pyrmonter Achse und dem fast parallel verlaufenden Kalldorfer Muschelkalksattel liegende „Valdorfer Mulde“. Sie verläuft über sechs km von Südost nach Nordwest und besteht im Kern aus Tonsteinen des Unteren Lias. An einer Störung der Nordflanke wurden Gesteine des Steinmergelkeupers und des Räts auf den Lias des Muldenkerns aufgeschoben. Sie wird als Oeynhausener Quellenspalte bezeichnet.

Der größte der drei Erdfälle im Lippischen Bergland.Bild: (05-2006) Der größte der drei Erdfälle im Lippischen Bergland. Die Tiefe von etwa 20 Metern kommt hier nur unzureichend zur Geltung.

Die Valdorfer Mulde ist gekennzeichnet durch eine Häufung von großen und tiefen Erdfällen, die immer noch in Bewegung sind. Bei Lichtensberg, im Südosten der „Valdorfer Mulde“ sind sieben Erdfälle ohne Moorbildung bekannt. Nördlich Lichtensberg liegen vier mit einem Durchmesser von 23 – 50 m und einer Tiefe von 5 – 20 m. Der fünfte und größte hat eine Ausdehnung von 120 m Länge, 30 m Breite und 10 m Tiefe. Man vermutet, dass er aus mindestens zwei kleineren Einsenkungen besteht. Die zwei südlich gelegenen Erdfälle haben einen Durchmesser von 23 m, bzw. 75m und eine Tiefe von 5 und 30 m. Auf der Linie Bad Senkelteich – Bad Seebruch – Vlotho, dem Verlauf der Oeynhauser Quellenspalte, sind weitere bekannt, in die Grundwasser eintrat. Torfmoose siedelten sich an, Moore entstanden.

Im Mai 1971 kam es in der sich langsam senkenden Drewelschen Wiese zu einem weiteren Erdfall mit 35 m Durchmesser, der sich durch fontänenartige Wasseraustritte ankündigte. Nordöstlich Linnenbeeke, nordwestlich Hof Lohof und dem Rahlbruch, südliches Stadtgebiet Vlotho, sind noch weitere jüngere Senkungsfelder bekannt, die jedoch künstlich aufgefüllt wurden.

Bildung eines Erdfalls:Bild: Bildung eines Erdfalls: Beim ersten Einbruch entsteht ein tiefer Schacht, spätere Einbrüche der Ränder führen zur weiteren Auffüllung und Trichterbildung, wenn Grund- und Regenwasser keinen Abfluss finden, bildet sich Torfmoor.

Entstehung der Erdfälle – Im Laufe der Zeit bilden sich in tieferen Schichten unterirdische Hohlräume durch Auslaugung des Gesteins. Das setzt voraus, dass genügend Wasser herangeführt wird und das gesättigte Wasser abfließen kann. Die Fließrichtung des unterirdischen Wassers erkennt man an der Oberfläche an der Aufreihung von Erdfällen. Das Gestein wird also nicht insgesamt, sondern nur in bestimmten hydrologischen Bereichen gelöst und nur an solchen Linien sind Erdfälle zu erwarten. Liegt das auflösbare Gestein nahe der Oberfläche, entsteht eine eher flachere Mulde. Liegt es in größerer Tiefe, folgt ein schachtartiger Einbruch. Zunächst entsteht ein Hohlraum. Sind die noch stützenden Pfeiler geschwächt, bricht das Hangende, das darüber liegende Gestein, in Brocken oder Schichttafeln ein. Dann folgen die obersten Schichten. Das kann urplötzlich geschehen und hängt von Festigkeit, Lagerung und Durchfeuchtung des Gesteins ab. Alle großen Erdfälle liegen unmittelbar an Verwerfungslinien, also Störungen im Schichtaufbau.

(o. J.) Moorteich - Erdfalltrichter bei Bad Seebruch Blick nach SüdenBild: (o. J.) Moorteich – Erdfalltrichter bei Bad Seebruch Blick nach Süden

Bis 1970 wurden im Bereich der Valdorfer Mulde ca. 100.000 cbm / Jahr Mineralwasser gefördert. In den zwei Jahren nach dem Einbruch flossen im gleichen Gebiet etwa 3.4 Mill. cbm Grundwasser mit ca. 6000 t gelöstem Calciumsulfat und 330 t Natriumchlorid aus. Das auf 14,8 Grad Celsius temperierte Wasser steigt wahrscheinlich aus 300 m Tiefe auf. Bisher vermuteten die Geologen eine Auswaschung von Gipslinsen im Untergrund des Keupers. Nach genaueren Untersuchen tendiert man heute eher zu der Ansicht, dass es sich um fossiles Mineralwasser handelt, das mit einem Salzkörper des Zechstein in Verbindung steht. Es gibt Ähnlichkeiten mit anderen Erdfällen, deren Entstehung durch „Subrosion von Zechsteinsalzen“ gesichert ist.

Vermutlich läuft das Grundwasser von Südosten nach Nordwesten ab. Das Grundwasser aus dem 120 m tiefen Brunnen Lichtensberg ließ sich auf etwa 7.200 Jahre bestimmen, das Mineralwasser der Rahlbruch – Quelle in Vlotho auf etwa 12.000 Jahre. Für die Erdfälle wird in der Literatur ein Alter von 8.000 – 10.000 Jahre angenommen.

(09-2000) Moorteich zu Bad SenkelteichBild: (09-2000) Moorteich zu Bad Senkelteich

Moorbildung – Im Gegensatz zu den Trichtern am Lichtensberg drang in die Erdfälle auf der Linie der Oeynhauser Quellenspalte Grundwasser ein, was über einen längeren Zeitraum zur Ausbildung von Mooren führte.

Mit Hilfe der Pollenanalyse ließ sich der Zeitpunkt der Entstehung in etwa bestimmen. Diese Blütenstaubkörner trieb der Wind ins Moor, sie wurden konserviert. Die einzelnen Arten lassen sich unter dem Mikroskop bestimmen. Prof. Thomson kam für Bad Seebruch zu dem Ergebnis, dass die unteren Schichten in 9 m Tiefe aus Schlammablagerungen bestehen. Die Moorbildung hat nach ihm erst um etwa 5000 v. Chr. eingesetzt, als in Deutschland Eichenmischwald vorherrschte.

Das feuchtwarme Klima am Eiszeitende wird vom Atlantik geprägt und deshalb Atlantikum genannt. Die Durchschnittstemperatur lag bei etwa 18 Grad Celsius. Vegetationszonen verschoben sich polwärts, in den offenen Steppenlandschaften Mitteleuropas breiteten sich Mischwälder mit Eichen, Ahorn, Eschen, Linden und Ulmen aus. Um diese Zeit begann der Mensch mit dem Ackerbau.

(09-2000) Bad Senkelteich: Wertvoller Rohstoff für heilbringende Anwendungen aus dem MoorteichBild: (09-2000) Bad Senkelteich: Wertvoller Rohstoff für heilbringende Anwendungen aus dem Moorteich

Nutzung der Erdfälle – Dem Moor in den Erdfällen und dem Aufstieg von Mineral- und Heilwässern verdanken die beiden Bäder Seebruch und Senkelteich ihr Entstehen. Eine erste Nachricht über Heilungen in der Schwefelquelle bei dem mit Moor gefülltem Erdfall ist für das spätere Bad Seebruch von 1753 erhalten, als eine Ziegenhirtin von der Gicht geheilt worden sei. 1818 entstand das erste Badehaus mit vier Badestuben und acht Wannen. Heute findet man hier eine moderne Fachklinik für orthopädische und rheumatologische Rehabilitation.

Bad Senkelteich, das in der Tradition eines Bauernbades steht, ist die andere Vlothoer Fachklinik für die genannten Indikationen. Die Moorlandklinik liegt direkt neben dem 40 m tiefen Moorvorkommens eines Erdfalls. Hier wird noch Torf gestochen und nach traditioneller Art in schweißtreibender Handarbeit als schwarzer Brei in die Moorwannen eingefüllt. 1866 wurde der erste Badebetrieb gegründet, mit acht hölzernen Wannen für Schwefel- und zwei Wannen für Schlammbäder.

(05-2006) Man mag auch tagsüber beklemmende Gefühle bekommen, wenn sich vor einem ein solch tiefes Loch in der Erde auftut ...Bild: (05-2006) Man mag auch tagsüber beklemmende Gefühle bekommen, wenn sich vor einem ein solch tiefes Loch in der Erde auftut …

Geister und Germanen – Die menschliche Phantasie haben „Teufelslöcher“ wie die Erdfälle schon immer angeregt. Bei Lichtensberg, am Wegkreuz nahe Eversmeiers Hof, stand eine Zollstation mit Schlagbaum. Einmal hatten die hier stationierten Gendarmen auf die Schmuggler scharf geschossen und getroffen, denn einer hat laut „gebölkt“ (=geschrien). Seitdem soll dieser „Kerl ohne Kopp“ die Salzstraße entlang geistern, besonders bei der „Spökekuhle“, einem haustiefen Erdtrichter im ausgelaugten Keupergestein. Auf dem Rand der Kuhle haben Blutschalen gestanden, in seiner Tiefe hat Feuer geglüht, und ein „dreibeiniger Hase“ hat sich dort umgetrieben.

Bild: (05-2006 - am Erdfall!) ... und ganz unvermutet ein Hase aufspringt, so schnell, dass man nicht erkennen kann, wieviele Beine er hat!Bild: (05-2006 – am Erdfall!) … und ganz unvermutet ein Hase aufspringt, so schnell, dass man nicht erkennen kann, wieviele Beine er hat!

Zwischen Weihnachten und Neujahr ist einmal der Schäfer vom Nienhagener Hof noch spät von Wentorf vorbeigekommen, und grad schlägt es vom Valdorfer Turm Mitternacht. Da rollert es in der Erde wie von einem Beben, braust in der Luft wie von einem Gewitter, und ein Rad rollt aus dem Trichter heraus, ganz „gläunig“ (=glänzend). Taghell wird es und das Rad immer hinter dem Schäfer her bis auf den Hof. Da ist es mit einem Male aus. Am anderen Morgen ist da ein schwarzer Erdfleck, der ganz brennerig riecht. Darum wird der Erdfall beim Lichtensberg auch „Duipe Kuhle“ (=Tiefe Kuhle) genannt.

Auch in der Nazizeit, im „Dritten Reich“, regten die Erdfälle die Phantasie an. Heinrich Heitmann, Autor des Buches „Das Heilige Tal Germaniens“, führt in diesem Werk aus, dass seiner Ansicht nach die „Irminsul“, das germanische Heiligtum, im Raum der Erdfälle gestanden habe. „Nichts lag ihnen [den Germanen] näher als zu glauben, dass hier im Tal die Gottheit wirke und durch die großen Sprudel zu ihnen sprach. Es kann dafür einen würdigeren und schöneren Platz in Deutschland einfach nicht geben, und eine glücklichere Vereinigung von alter und neuer Heldenehrung ist nicht auszudenken. Was Jerusalem für Christen und Juden, Rom für die Katholiken, das war Vlotho mit dem Bonstapel für die Germanenwelt.“