Weidestraße – Mendel-Grundmann-Straße

Weidestraße - Mendel-Grundmann-Straße(aus Z07 gwsplitter »Weidestraße – Mendel-Grundmann-Straße «)
Text: A. W. König (aktualisiert)

Beide sind verhältnismäßig neue Straßen in Vlotho. Sie sind Anliegerstraßen für die ab 1900 entstandenen Neubauten am Fuße des Winterberges.

Im Jahr 1839 lebten 2077 Menschen in Vlotho ausschließlich entlang der Vlothe, dem heutigen Forellenbach, und der Weser. Die „262“ war die höchste Hausnummer. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Feldmarken Stück für Stück bebaut. Nach und nach wurde der bis dahin landwirtschaftlich genutzte Winterberg von der Talseite her immer weiter bebaut.

Neuer Wohnraum wurde gebraucht, weil die Zahl der Bürgerinnen und Bürger im Jahr 1900 auf etwa 4000 angestiegen war und weiterhin stetig wuchs. Hauptarbeitgeber war die Zigarrenindustrie, in der in Fabrik- und Heimarbeit etwa ein Drittel der Menschen in Vlotho Arbeit fand. 1895 zählte allein das Unternehmen Niemann & Tintelnot 300 Beschäftigte in der Zigarrenproduktion.

Blick in die Weidestraße in westliche RichtungBild: Blick in die Weidestraße in westliche Richtung

Zigarrenarbeiterfamilien waren es dann auch, die ab 1898 auf dem Kamp „Schmidtsche Weide“, an der späteren danach benannten Weidestraße, Neubauten errichteten. Die Grundstücke erwarben sie von Mendel Grundmann, einem der wohlhabendsten Bürger der Stadt Vlotho. Dieser hatte den Kamp „Schmidtsche Weide“ kurz vorher von dem Vorbesitzer Schmidt gekauft.

Mendel Grundmann stellte nicht nur Grundstücke zur Verfügung, sondern ermöglichte den Zigarrenmachern erst durch günstige Darlehn das Bauen. Als in den 20er und 30er Jahren die Bebauung im Bereich Kirchstraße begann, bekam die neu entstandene Straße um 1930 zur Erinnerung und als Anerkennung für die vorbildlichen Leistungen des verstorbenen jüdischen Mitbürgers Mendel Grundmann den Namen „Mendel-Grundmann-Straße“. Im Rahmen der ab 1933 aufkommenden offenen Judenfeindlichkeit wurde die Straße, wie könnte es anders sein, in „Deutsche Straße“ umbenannt. Doch 1945 endete das „1000jährige Reich“, die Straße erhielt ihren ursprünglichen Namen zurück.

Blick in die Mendel-Grundmann-Straße in östliche Richtung, Standort am Kreisverkehr mit Wiese- und WasserstraßeBild: Blick in die Mendel-Grundmann-Straße in östliche Richtung, Standort am Kreisverkehr mit Wiese- und Wasserstraße

Die Grundmanns – Eine Vlothoer Familie

Die Familie Grundmann zählte gegen Ende des 19. Jahrhunderts neben beispielsweise den Familien Schöning, Volbracht, Tintelnot zu den wohlhabendsten in Vlotho. Ihren Mitgliedern gehörten Grundstücke in der Langen Straße, Parzellen am Winterberg und ab 1898 der Kamp „Schmidtsche Weide“ an der Valdorfer Straße. Sie hat lange Zeit das geschäftliche und gesellschaftliche Leben in Vlotho mit geprägt. Eine besonders herausragende Persönlichkeit war jener Mendel Grundmann , nach dem eine Straße in der Weserstadt benannt wurde. Er war Sohn des 1876 verstorbenen Besitzers der Plattenmühle, die er um 1900 an Ernst Krüger verkaufte. Im Jahr 1909 bietet er Dienste an als „Mendel Grundmann ? Grottenstein- und Wesersandsteinbrüchen“. Grottenstein meint wahrscheinlich den Valdorfer „Horststein“, ein begehrter und vielseitiger nutzbarer heimischer Kalkstuffstein.

Die Lohgerberei Grundmann im Jahr 1911Bild: Die Lohgerberei Grundmann im Jahr 1911

Ein weiterer Mendel Grundmann betrieb seit 1860 an der Langen Straße 42/44 eine Lohgerberei, die an seinen Sohn Michael Grundmann überging. Dessen Söhne führten die Gerberei bis zum 1. Oktober 1928 weiter, als die Familie H. Sellmann die Firma übernahm und sie 1934/35 nach Uffeln verlegte.

Im Haus Rintelner Straße Nr. 78 wird in der mittlerweile dritten Sellmann-Generation das Gerberhandwerk noch immer ausgeübt. Betriebsgebäude und -gelände der Grundmannschen Fabrik in Vlotho verschwanden bei der Stadtsanierung in den 1970er-Jahren, das Privathaus Michael Grundmanns in der Moltkestraße ist eine der noch erhaltenen Spuren. Heute befindet sich hier das Pfarrhaus der reformierten Kirchengemeinde in Vlotho. Wie alle Vlothoer Juden wurden die Grundmanns durch die Nazis verfolgt, gedemütigt oder ermordet. Der überlebende Richard Grundmann besuchte 1988 Vlotho im Rahmen des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht auf Initiative der Mendel-Grundmann-Gesellschaft.

Dass die Geschichte der Vlothoer Juden nicht in Vergessenheit gerät, ist sehr wichtig. Die Mendel-Grundmann-Gesellschaft hat die Aufgabe der Dokumentierung übernommen.