Erste Reformierte in Vlotho

Erste Reformierte in Vlotho(aus: M06 – Frau Saalig schreibt an den König)
Text: Inge Wienecke

Reformierte gibt es seit etwa 1730 in Vlotho. Nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 durften die Landesherren die Religion ihrer Untertanen bestimmen, was zur Folge hatte, dass die Grafschaft Minden – Ravensberg (also auch Vlotho) evangelisch-lutherisch war und das Fürstentum Lippe evangelisch-reformiert.

Erste Reformierte in VlothoBild: Die St. Johannis-Kirche an der Langen Straße um das Jahr 1960. Links daneben die Buchhandlung Robert Thorein.

Die Landesbewohner besaßen aber das Recht, auszuwandern (ius emigrandi). Wegen der wirtschaftlichen Blüte der Hafenstadt Vlotho ab etwa 1730 zogen reformierte Lipper dorthin. Zunächst scheint es vereinzelte, von Herford aus betreute Gottesdienste der Reformierten in Vlotho gegeben zu haben. Am 20. Juni 1741 teilt der Herforder Inspektor Sagittarius in einem Schreiben an das reformierte Kirchendirektorium Berlin mit, dass „die Reformierten in Vlotho sehnlich verlangen, dass ihnen ins Künftige das heil. Abendmahl daselbst allemahl auf dem Bußtag im Martio [= März] und Septembri durch einen der hiesigen Prediger möge ausgetheilet werden“. Damals gab es noch insgesamt vier Bußtage pro Jahr.

Sagittarius argumentiert, dass es sich nicht schicke, das Abendmahl an einem Werktag auszuteilen und an einem Sonntag seien die Prediger unabkömmlich. Daher schlägt er der Obrigkeit vor, die Nachmittagspredigt an besagten zwei Bußtagen einzustellen. In einem späteren Brief an den König schlägt Sagittarius am 11. März 1745 vor, dass der Prediger Schreiter aus dem Lippischen die Reformierten in Vlotho betreuen solle, weil „die Wege zwischen Vlotho, Hervordt und Minden, insonderheit bei schlimmem Wetter und zur Winter-Zeit fast inpracticabel sind“.

Tatsächlich wurde seit 1745 die kleine reformierte Gruppe von dem reformierten Pastor Simon Henrich Schreiter aus Langenholzhausen viermal pro Jahr zur Abendmahlfeier mit betreut. Vermutlich fanden diese Gottesdienste in Privathäusern statt. 1748 war die reformierte Gemeinde aber bereits auf etwa 40 bis 50 Personen angewachsen. Pastor Schreiter wendet sich am 14. September 1748 mit einem Schreiben an Friedrich II. und bittet darum, viermal pro Jahr die lutherische Kirche (die erst ab 1830 Stephanskirche heißt) außerhalb der lutherischen Gottesdienstzeiten nutzen zu dürfen. Nachstehend der Originaltext:

Das alte Pfarr- und Gemeindehaus der Kirchengemeinde im Jahr 1918Bild: Das alte Pfarr- und Gemeindehaus der Kirchengemeinde im Jahr 1918. Es wurde 1936 an die Kreissparkasse verkauft, die es durch einen Neubau ersetzte.

Aller Durchlauchtigster Großmächtigster König,
Aller Gnädigster König und Herr,
Eure Königl. Majeste geruhen sich in aller Untertänigkeit hierdurch vortragen zu laßen, gestalten [sic] im Städtgen Vlotho und darum herum liegenden Örtern im Ravensbergischen hin und wieder viele Zerstreute, der Reformirten Religion zugethane Unterthanen sich befinden, welchen ich als Prediger in dem nicht weit davon liegenden Lippischen Dorffe Langenholtzhausen vermöge der unterm 19 t. Marty [= März] 1745 von Eurer Königl. Majeste erhaltenen Allergnädigsten Concession alle quartal in Vlotho die heil. Communion [= Abendmahl] außtheile und sonsten erforderten falls die Sacra [= Sakramente, z.B. Taufen, Hochzeiten] administrire. Da aber zu außtheilung der Communion keine bequeme gelegenheit sich in besagtem Vlotho findet, die Gemeinde hingegen immer und mehr anwächst. Als[o] habe mich bemüßiget befunden, solches nicht nur Aller unterthänigst anzuzeigen, sondern auch Eure Königl. Majeste in tiefster Ehrfurcht und erniedrigung vor [= für] diese bedrängte kleine Gemeindte anzuflehen, Höchstdieselbe in höchsten Gnaden geruhen [zu] wollen, derselben zu gestatten, dass selbige alle Vierteljahr ihren Gottesdienst und die Communion in der Kirche oder, falls dieses wider Verhoffen bedenklich, wenigstens vor Erst auf dem daselbst befindlichen Bürger-Saal des Rath-Hauses in Vlotho halten möge. Und wie nun das Simultaneum [= gleichzeitige Nutzung einer Kirche] in mehreren Kirchen Eurer Königl. Majeste Lande und noch kürzlich zu Tecklenburg eingeführet worden, so zweifle auch ich weniger, Eure Königl.Majeste. solches in höchsten Gnaden verstatten werden, immaßen auch darum hirdurch nochmahlen nothdringlich bitte, und zu anhaltender Gnade und Hulde[,] ich mich, wie auch diese kleine Gemeinde Aller gehorsamst empfehle und allsteth dagegen Verharre Euer Königl. Majeste
Aller Unterthänigst und getreuest für Bitter
Simon Henrich Schreiter
Prediger der Gemeine Langenholtzhausen und Vlotho
Langenholzhausen, den 14.September 1748

(Zusatz eines königlichen Beamten) „Dieses zuerst vermitt[eln] zum report d. großen geistl. Departement, worüber wohl mit d. königl. Generaldirektorium zu communiciren sein möchte. Den 25. Sept. 1748, Mirdeling“

Mitwirkende des in der Langen Kirchennacht in der Johanniskirche am 27. Mai 2012 uraufgeführten Theaterstückes "Der Alte Fritz und die reformierte Kirche in Vlotho"Bild: Mitwirkende des in der Langen Kirchennacht in der Johanniskirche am 27. Mai 2012 uraufgeführten Theaterstückes „Der Alte Fritz und die reformierte Kirche in Vlotho“ (Autorin: Inge Wienecke, Vlotho).

Friedrich II., von 1740-1786 preußischer König, prägte die deutsche Geschichte durch seine aufklärerischen Grundsätze, wie zum Beispiel: „Ich bin der erste Diener meines Staates“ oder „Ein jeder soll nach seiner Fasson selig werden“. Durch jahrelange Kriege vergrößerte er das preußische Staatsgebiet. Obwohl er selbst der evangelisch-reformierten Konfession angehörte, will er den zahlreichen Bitten von reformierter Seite aus Vlotho nicht sehr konsequent Gehör schenken. Daher gehen in dieser Sache nach vielen Quellen im Landesarchiv Münster zwischen Vlotho und dem preußischen König in Berlin, zumeist über seine Regierungsbehörde in Minden, die Kriegs- und Domänenkammer, mindestens 30 Briefe hin und her, sodass man sich vorstellen kann, dass der Name Vlotho dem König schließlich Kopfschmerzen bereitete, was an einigen seiner gereizten Reaktionen erkennbar wird.


Anmerkung: Die vorstehend gezeigten Darsteller (v. l. n. r.) Manfred Finkbeiner (als Inspektor Fricke), Carsten Reuß (als Adjutant des Königs) und Rudolf Zahren (als der Alte Fritz) haben ebenso wie Jürgen Gebhard (Vlothoer Zeitung) ihr Einverständnis zur Veröffentlichung dieses Bildes erklärt.