(aus: C06 – Vom Fachwerkhaus zur Einbauküche bzw.: SD05 – Kinderjahre in Ostwestfalen)
Mit diesem Artikel stellen wir etwas Besonderes vor: Ein Abriss der Geschichte der Küchenmöbelfabrik Pecher wird ergänzt durch den Zeitzeugenbericht von Ingrid Siepmann, geborene Pecher. Ihre Erinnerungen zeichnen das lebendige Bild vom Leben in einem Dorf in Ostwestfalen. Darüber hinaus schildert sie, wie sie den weiteren Weg eines Industrieunternehmens mit erlebte, das sich aus einem Holz verarbeitenden Handwerksbetrieb entwickelt hatte. Der erste Abschnitt bezieht sich auf den Inhalt der Ausgabe Vom Fachwerkhaus zur Einbauküche, der zweite ist ein Auszug aus ihrem Buch Kinderjahre in Ostwestfalen
Küchenmöbel von Pecher
Text: A. W. König, Reiner Niemann (+)
Von der zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzenden allgemeinen regen Bautätigkeit war unser Ort nicht ausgenommen. Die Markenteilung, verbunden mit der weitgehenden Rodung zuvor gemeinsam genutzter Wald- und Weideflächen, führte zur Gründung vieler Neubauernstätten, aber auch auf den Althöfen wurde gebaut: Heuerlingskotten entstanden als zusätzliche Unterkünfte. Auch die Aufteilung großer Höfe in kleine Besitzungen hatte entscheidenden Anteil am wachsenden Bedarf an speziellen Handwerkern: Zimmerleute für den Hausbau und Tischler für die Möblierung.
Gegen Ende 19. Jahrhundert veränderte sich die Situation erneut und immer schneller. In den rasant wachsenden Städten stieg die Zahl der Haushaltsgründungen, und damit der Bedarf an Möbeln. Speziell im ostwestfälischen Raum etablierte sich in wenigen Jahrzehnten ein bedeutender Industriezweig: Aus vielen Handwerksbetrieben wurden industriell organisierte Werkstätten und Fabriken, denn nur eine Produktion mit hohem Ausstoß konnte der ständig steigenden Nachfrage gerecht werden.
Bild: Kotten in Bad Salzuflen-Wüsten (heute Bobe, Glimke) mit Türbalken-Inschrift: * ANNO 1814 D. 21. JUNI HAT JOHAN TÖNIS LAMBRACHT UND HANNA SCHARLOT FRIEDERIEKE DUS AUS ESEN DIESES HAUS LASSEN BAUEN DURCH DMH KRUTMEIER“
Pecher ist das wohl traditionsreichste Unternehmen seiner Branche in Exter. Bereits um 1800 sind Pechers als Zimmerleute nachzuweisen. In den 1820er-Jahren heiratete der Wüstener Zimmermeister F. W. Krutemeier in die Familie ein, nahm den Namen an und führte so Handwerkstraditionen zweier alteingesessener Familien zusammen. 1894 kaufte die Familie Pecher den kosiekschen Hof (Exter Nr. 30) und errichtete in den Folgejahren die heute noch bestehenden Fabrikgebäude. 1905 dürfte die letzte herkömmliche Zimmermannsarbeit geleistet worden sein: Das Anwesen Exter Nr. 4 erhielt einen neuen Dachstuhl.
Bild: Dem geringen Raumangebot in kleinen Wohnküchen kam die Reformküche von 1936 entgegen. So ließ sich stapeln bzw. einsortieren, was ein Haushalt immer brauchte. – Kleinmöbel (vom Schlüsselbrett – obere Reihe Mitte – bis zum Spezialtisch für den täglichen Abwasch) gehörten auch zu Pechers Programm.
Erst die 1900 in Betrieb genommene Dampfmaschine ermöglichte die rationelle Massenfertigung von Küchenmöbeln. Man hatte sie gebraucht von der Behindertenanstalt Bethel gekauft. Die zahlreichen Holzbearbeitungsmaschinen wurden über quer durch den Betrieb verlaufende Transmissionen angetrieben. Bis zum Zweiten Weltkrieg sorgte ein von der Dampfmaschine angetriebener Generator für Unabhängigkeit in der Stromversorgung.
Anfallende Holzspäne schaffte man über ein spezielles Transportsystem bis in den Kesselraum und verfeuerte sie für die Dampferzeugung. Die Dampfkraft nutzte man bis zum Abbau der Maschinenanlage kurz nach dem Krieg; die Stromversorgung übernahmen dann die Elektrizitätswerke Minden Ravensberg (EMR). Der ursprüngliche Schornstein ist heute noch für die Heizungsanlage in Betrieb.
Mit einer 50-köpfigen Mannschaft produzierte Pecher Küchenmöbel 1934, im Jahre 1960 waren als Folge der Rationalisierungen nur noch 25 Mitarbeiter beschäftigt. 1990 schlossen sich auch die Tore der Firma Pecher, des letzten der traditionellen Möbel-Unternehmen in Exter, der Herforder Möbelfabrikant Nitsche übernahm die Immobilien, erweiterte sie nach und nach und setzt ein einstmals für Exter besonders wichtiges Gewerbe fort.
Nach dem Zweiten Weltkrieg:
Es geht wieder aufwärts
Text: Ingrid Siepmann
1957 wurde die neue Halle im Anschluss an die alte Fabrik gebaut. Der ganze Betrieb wurde umgekrempelt. Ein neuer moderner „Alleskönner“ ersetzte eine Reihe älterer Maschinen Die guten alten Holzrutschen verschwanden, ein moderner Fahrstuhl wurde eingebaut. Spezialmöbeltransporter holten die Möbel ab und fuhren sie direkt zu den Kunden in allen Teilen Deutschlands. Mit der Bahn wurden nur noch wenige Küchenbüffets verschickt. Diese wurden mit LKWs zum Bahnhof nach Herford gebracht, der kleine Güterbahnhof in Exter war schon vor Jahren geschlossen worden.
Eines Tages ruhten die Bauarbeiten plötzlich, die Arbeiter standen zusammen und diskutierten. Beim Ausbaggern des Untergrundes war man auf ein Skelett gestoßen. Die Polizei wurde alarmiert, dann musste unser Dorfarzt Dr. Bernsdorf zur Begutachtung des Knochenfundes anrücken. Inzwischen machten schon wilde Gerüchte die Runde. 1945 bei Kriegsende sollte angeblich ein junges Mädchen verschwunden und nie wieder aufgetaucht sein.
Als Dr. Bernsdorf ankam, legte sich die Aufregung schnell. Er stellte lakonisch auf den ersten Blick fest, daß es sich nicht um ein menschliches Skelett sondern um die Knochen einer Ziege handeln würde. Dr. Bernsdorf und der Polizist zogen wieder ab, die Arbeiten konnten weitergehen.
1959 feierten wir dann im Waldrestaurant „Loose“ das 100jährige Firmenjubiläum. Selbstverständlich waren alle Mitarbeiter mit ihren Frauen vertreten und auch viele unserer Vertreter, die im ganzen Bundesgebiet die „Pecher-Küchen“ an die Möbelgeschäfte verkauften, waren mit ihren Frauen gekommen. Es war ein schönes Fest und der Anlass war wirklich ein Grund zum Feiern.
Bild: Möbelfabrik Pecher in den 1960er-Jahren, parallel zur quer durch das Bild verlaufenden Herforder Straße ist der Lagerschuppen für das Holz zu sehen. Nach links unten verläft der Zugang zur Siedlung Auf dem Pulsfeld.
Doch zurück zum Hallenbau von 1957. Mit dem ausgebaggerten Boden wurde unser Vorgarten angefüllt und verbreitert. Wir ließen eine Mauer aus Wesersandsteinen an der Straße und zur Wiese errichten und den ganzen Garten umgestalten, so dass er wesentlich pflegeleichter wurde. Die vielen fleißigen Hände, die zur Pflege der bisherigen Gartenanlage nötig waren, gab es einfach nicht mehr.
Wir bekamen jetzt eine Rasenfläche, die von einigen Rabatten und einer Hecke aus Blütensträuchern eingefasst war. Bisher musste der Rasen mit einem einfachen kleinen Walzenmäher kurz gehalten werden, der mühsam per Hand geschoben wurde. Jetzt kamen die ersten Motorrasenmäher auf den Markt. Wir kauften eines der ersten dieser die Gartenpflege wesentlich erleichternden Geräte.
Auf der „Pecherei“ wurde es allmählich leerer. Fräulein Grebe verließ Exter bald nach dem Krieg und kehrte zurück nach Gelsenkirchen. In den 1950er Jahren wurden wieder Wohnhäuser gebaut, am Solterberg entstand eine ganz neue Siedlung mit vielen Häusern. Dort bekam Familie Schäfer aus Breslau eine Wohnung, da es jetzt mit den größeren Kindern bei uns doch zu eng wurde. Es dauerte aber nur wenige Jahre, dann wanderten Schäfers nach Kanada aus. Tante Mile Grotegut bekam eines der frei gewordenen Zimmer als Schlafzimmer; im alten Haus gab viel zu wenig Platz.
Bild: Wohnraum für Neubürger: Nelkenstraße in Exter, die Zubringer-Straße zur «Blumensiedlung» mit Fliederstraße, Asternweg, Narzissenstraße, Veilchenstraße, Tulpenstraße
Schäfers aus Ostpreußen, die noch eine Mansarde bei uns im Haus bewohnten, brauchten dringend die beiden Zimmer im Obergeschoß des alten Hauses, da Elfie heiratete und sie jetzt zu viert waren. Gegen Ende der 50er Jahre kauften Tante Mile mit ihrem Sohn und dessen Familie und auch Schäfers beide ein Grundstück in der jetzt schon vergrößerten Siedlung am Solterberg und bauten eigene Häuser.
Die Wohnraumbewirtschaftung war zwar sehr gelockert, aber immer noch nicht aufgehoben worden. Daher zog jetzt eine junge Familie aus der Nachbarschaft nach ihrer Hochzeit bei uns ein. Als dann die kleine Tochter geboren wurde, war es für die junge Familie auch zu eng und sie mieteten in Herford eine größere Wohnung.
Danach kam eine pensionierte Hauswirtschaftslehrerin zu uns, die sich in den beiden Mansarden gemütlich einrichtete. Leider wurde sie nach einiger Zeit schwer krank und starb. Jetzt waren meine Mutter und ich allein in dem großen Haus. Wir hatten auch keine Hausangestellten mehr. In den Zeiten des Wirtschaftswunders war es sehr schwierig geworden, Mädchen zu finden, die noch im Haushalt arbeiten wollten, alle drängten in die Industrie. Viele junge Frauen fuhren auch lieber nach Bad Salzuflen, um für einige Stunden in den Pensionen oder Kurheimen zu arbeiten und dann wieder nach Hause zu fahren.