(aus: R08 – 100 Jahre Posaunenchor Valdorf)
Text: Ludwig von Behren, Bilder: Posaunenchor Valdorf
Bis in die 1890er Jahre hinein war die Kirchengemeinde Valdorf als einpfarrige Gemeinde eine organisatorische Einheit, hervorgegangen aus dem Kirchspiel Valdorf mit dem Mittelpunkt des Dienstsitzes des Pfarrers in Wehrendorf. Erst die Tätigkeit des Gründers des Simeonstiftes und Superintendenten des Kirchenkreises Vlotho, Eberhard Delius, seit 1868 Inhaber der Pfarrstelle, hat dazu geführt, ihm einen weiteren Pfarrer als Hilfsgeistlichen an die Seite zu geben.
Bild: Posaunenchor Valdorf um 1917
Für diesen hat Superintendent Delius zwei Jahre vor seinem plötzlichen Tod das Pfarrhaus in Valdorf zunächst mit eigenen Mitteln errichten lassen, nachdem im Jahre 1895 die Zweite Pfarrstelle mit Sitz in Valdorf errichtet worden war. Pfarrer Carl Friedrich Gottlieb Meyer zog in das Pfarrhaus ein und war bis 1909 in Valdorf tätig. Er wechselte danach ins Sauerland. Zusammen mit Kirche und Schule sowie seit 1886 dem Simeonsstift war damit schon rein äußerlich eine Schwerpunktverlagerung verbunden, zumindest aber eine innerörtliche Veränderung, die sich in den folgenden Jahren zugunsten des zweiten Pfarrbezirkes auswirken wird.
Erst 1908 wurde nach einem Pfarrerwechsel in der Ersten Pfarrstelle – Pastor Wex aus Kleinenbremen wurde zum Pfarrer gewählt – die genaue Aufteilung in zwei Seelsorgebezirke, den Süd- und den Nordbezirk, vorgenommen.
Der Nordbezirk mit den Bauernschaften Valdorf, Bonneberg und Unter-Holwiesen hat ungefähr 2400 Seelen. Der Südbezirk und damit die Erste Pfarrstelle umfasst die Bauerschaften Steinbründorf, Wehrendorf, Oberhollwiesen und angrenzende Teile der Bauernschaften Valdorf, Unter-hollwiesen und Bonneberg, so dass etwa 2000 Seelen in ihm vereinigt sind.
Die Grenzteile Seebruch, Südmersen und Plögerei werden als terra communis (gemeinsames Land) eingestuft, das heißt, dass die Bewohner sich vom Zweiten Pfarrer „bedienen lassen“ dürfen, es aber nicht müssen. Wichtig ist die Festlegung, dass die beiden Pfarrbezirke im Sinne der Kirchenordnung als „selbständige“ gelten sollen, was ihre Gleichberechtigung und Eigenständigkeit unterstreicht.
Festzuhalten bleibt auch, dass es erst im Zuge der Neubesetzung der ersten Pfarrstelle in der zu erstellenden Dienstanweisung zu einer genauen Aufstellung der Arbeitsteilung zwischen den beiden Pfarrern kommt und genau festgelegt wird, dass beide Pfarrer in je ihren Bezirken ihren Dienst nach übereinstimmenden Grundsätzen und in gleichem Umfang tun.
Bild: 7. Februar 1931 – Posaunenbläser im ersten Lehrgang bei Kuhlo vor der Zionskirche in Bethel
So wird zum Beispiel im § 10 der Dienstanweisung für den Ersten Pfarrer festgelegt, er habe „alle Leichen, die auf dem Wehrendorfer Kirchhof beerdigt werden, am Kirchhofe in Empfang zu nehmen und sie zu Grabe zu geleiten“. Wir werden später auf diesen Punkt noch einmal zu sprechen kommen, weil er möglicherweise im Zusammenhang mit der Gründung des Posaunenchores eine nicht unwichtige Rolle spielt.Zunächst aber wollen wir uns erst der Gründung selber zuwenden und damit zum Kern dieser Veröffentlichung kommen: Der Gründung des Valdorfer Posaunenchores Ende des Jahres 1913.
Die Protokoll-Notiz vom 6. November 1913 als schriftliche Gründungsurkunde Der einzige schriftliche Beleg für die Posaunenchorgründung findet sich im Protokollbuch der Kirchengemeinde Valdorf 1908 – 1923, das im Archiv der EKvW in Bielefeld-Bethel einzusehen ist. Die handschriftliche Eintragung wurde jeweils vom amtierenden Presbyteriumsvorsitzenden vorgenommen und stammt aus der Feder vom seit 1910 im Zweiten Pfarrbezirk tätigen Pastor Heinrich Busse, was ein Schriftvergleich eindeutig belegt. Der Absatz II des Protokolls aus der Feder des seit 1910 tätigen Pastors lautet: „Presbyterium nimmt gern Kenntnis von einem von 12 Gemeindegliedern unterfertigten Schriftstück, in dem … zwecks Gründung eines zweiten Evang. Männer u. Jünglingsvereins für den Nordbezirk der Gemeinde um Mithilfe ersucht wird. Diese wird nach Möglichkeit in Aussicht gestellt.“
Diese im handschriftlichen Original fünf Zeilen sind der einzige auffindbare Beleg und damit die Gründungsurkunde. Im Synodalprotokoll des Kirchenkreises Vlotho aus dem Jahr 1914 findet sich dann lediglich unter § XIII Kirchliche Vereine der kurze Satz: „Zu den vorhandenen Vereinen sind hinzugekommen in Valdorf ein zweiter Jünglingsverein, in Lohe ein Frauenverein, in Rehme ein Frauenverein.“ Dieser mehr statistische Satz ist sozusagen die Vollzugsmeldung der Gründung.
Bild: 1949 – Mitglieder des Posaunenchors bringen aus der Tradition heraus alten und kranken Gemeindegliedern ein Geburtstagsständchen dar. Im Hintergrund verläuft das Gleisbett der elektrifizierten Herforder Kleinbahnen (s. Oberleitung)
Was die historische Forschung angeht, ist damit freilich den Erfordernissen durchaus Genüge getan: die erste gleichsam urkundliche Erwähnung des Vorgangs gilt als genügendes Gründungsdatum und die Vollzugsmeldung gilt als Bestätigung des Vorgangs und genügt vollkommen. Wenn der Valdorfer Posaunenchor also im Jahr 2013 das Jubiläum des 100jährigen Bestehens feiert, ist das historisch korrekt und erfüllt alle Erfordernisse der historischen Erforschung. Dies gilt es auch hier eindeutig und unmissverständlich festzuhalten. Dennoch aber möchte der Spurensucher und gemeindegeschichtlich Interessierte gern etwas mehr wissen und erfahren. Die Protokollnotiz wirft natürlich neben aller wünschenswerten Klarheit und Knappheit einige Fragen auf, auf die wir gern eine Antwort hätten.
Um mit der wichtigsten Frage zu beginnen: Wie ist der abschließende Satz zu verstehen: Diese [Mithilfe oder auch Unterstützung] wird nach Möglichkeit in Aussicht gestellt. Was soll das heißen: nach Möglichkeit?
Wer oder was beschränkt denn die Unterstützung und was heißt: „in Aussicht gestellt“? Muss da noch jemand anderes gefragt oder konsultiert werden? Und liegt nicht schon eine Art Zustimmung in dem Wörtchen „gern“ am Anfang? Ist nicht der Schreiber der Notizzeilen der große Begünstigte dieser Zeilen?
Und weiterhin: Eine Erlaubnis zur Gründung muss das Presbyterium keineswegs erteilen, handelt es sich doch um die Gründung eines Kirchlichen Vereins in völliger Unabhängigkeit gegenüber der Kirchengemeinde. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gemeindepfarrer für seine Bereitschaft, den Vorsitz im neuen Verein zu übernehmen, die Erlaubnis des Presbyteriums einholen muss und dies die Absicht der Notiz ist.
Bild: 1973 – Der Posaunenchor bläst zu seinem 60jährigen Jubläum vor der Valdorfer Kirche
Weiterhin ist auffällig, dass in der kurzen Notiz in wörtlicher Übereinstimmung mit dem Wehrendorfer und Exteraner Vereinsnamen formuliert wird, was darauf hindeutet, dass dem Schreiber der Zeilen die erforderlichen Prozeduren bereits bekannt sind und, wenn überhaupt, dann nur er und nicht das Presbyterium als Ganzes zur Mithilfe praktisch in der Lage ist: Man brauchte ihn als Vorsitzenden, wenn der Verein nicht eine ganz andere Struktur haben soll als die bereits existierenden Vereine.
Und schließlich: Wer sind etwa die zwölf Gemeindeglieder, die das Schriftstück „unterfertigt“ haben – eine sehr amtlich-verwaltungsmäßig klingende Formulierung ? Sind es vielleicht mehrheitlich schon in den Startlöchern stehende künftige Bläser? Sind es Mitglieder der Größeren Gemeindevertretung, die das Anliegen ihrerseits unterstützen? Oder will der Inhaber der Zweiten Pfarrstelle dem Kollegen der Ersten Pfarrstelle und damit dem Vorsitzenden der Wehrendorfer Kirchlichen Vereine signalisieren, dass es sich nicht um Konkurrenz oder gar einen revolutionären Akt handelt, wenn ein zweiter Posaunenchor in der einen Gemeinde entsteht, aber eben für den Zweiten Bezirk, den Nordbezirk?
So sehr man die Fragen auch dreht und wendet: Eine konkrete und weiterführende Antwort auf diese Fragen ist nun einmal nicht zu erhalten. Und es spricht ja Bände, dass die dann irgendwie erfolgte Gründung – sonst wäre ja die kurze Vollzugsmeldung des Jahres 1914 völlig unverständlich – mit keinem Sterbenswörtchen im gemeindlichen Rahmen erwähnt wird.
Bild: 2011 – Sommerkonzert im Altarraum der Valdorfer Kirche
In den jährlich vom Pfarrer zu schreibenden Gemeindeberichten an die Synode Vlotho, auch sie hat der Verfasser eingesehen, findet sich über die Gründung kein Wort. Schließlich kommt es ja nicht alle Jahre vor, dass ein neuer Verein gegründet wird. Und wenn man das Wort „gern“ nicht überinterpretiert, dann folgt daraus ja zumindest auch, dass der neue Verein, das heißt konkret ein Posaunenchor für die gemeindliche Arbeit ein erheblicher Pluspunkt ist. Dazu später noch etwas mehr.
Wenn wir schon keine positiven Antworten aus der Gründungsnotiz herauslesen können, so ist auf der anderen Seite aber aus dem Negativen, dem Nichtgesagten auch Wichtiges festzuhalten: Der Posaunenchor Valdorf ist in seinem Ursprung kein Kind des Ravensberger Pietismus. Der Exteraner Posaunenchor kann mit Fug und Recht von seiner Entstehungsgeschichte her so bezeichnet werden.
Und der Wehrendorfer Chor vielleicht auch noch. Wird doch in der Wehrendorfer Festschrift zum 100. Jubiläum der Kirchlichen Vereine Wehrendorf gesagt, dass sich die Mitglieder und späteren Posaunenbläser zunächst zu Bibel- und Missionsstunden getroffen hätten, bevor es mit dem Blasen losging. Und dies nicht lediglich vor den Übungsstunden, sondern zeitlich gesehen Jahre oder zumindest Monate vorher. Obwohl von Superintendent Delius nicht bekannt ist, dass oder ob er der Erweckungsbewegung nahestand, legt es die Nähe zu Exter nahe, dass die Entwicklung in Wehrendorf ähnlich wie die in Exter verlaufen ist.
Für Valdorf ist das nach allem, was wir wissen, nicht zutreffend. Wie die spätere Entwicklung zeigt, hat es in Valdorf nicht die Tendenz zur Gründung eines dem Westdeutschen Jünglingsbund angeschlossenen Jünglingsvereins gegeben. Es ging faktisch ausschließlich um einen Posaunenchor. Auch nach der Gründung gab es keine Meldung an den Jünglingsbund, der keinerlei Unterlagen zu Valdorf hat. Dies festzuhalten ist ein Gebot historischer Ehrlichkeit und stellt keinerlei Stellungnahme zu den Nachbarvereinen dar.