Schüler der alten Winterberger Volksschule beschreiben ihre Welt
(1951 – 1956)
brosch., 170 x 220 mm, 280 S., 92 Abb.
Wie kam es zu diesem Buch?
Im Jahre 1951 begann die Oberklasse der Winterberger Schule mit dem Plan zu dem vorliegenden Buche. Im siebten und neunten Schuljahr saßen etwa 40 Kinder, als Herr Penzel, unser Klassenlehrer und Schulleiter seit Ostern 1951, mit diesem Gedanken an uns herantrat. Er kam nach zehn Kriegs- und Gefangenschaftsjahren zu uns und erzählte uns, dass er vor Jahren in seiner vogtländischen Heimat ein ähnliches Buch zusammengestellt hatte. Dieses Buch ist leider zur Zeit verschollen, es hatte etwa 800 Seiten und lässt sich heute, bei der russischen Besatzung seiner alten Heimat, nicht auffinden. Mag es nach Jahrzehnten den späteren Lesern ein gutes Bild aus den Jahren nach dem 1. Weltkriege geben. Dasselbe wünschen wir auch heute diesem vorliegenden Buche.
Bild: 1952 – Schule Valdorf-Ost von Süd-Ost gesehen gegen Zimmer 1 und Flur-Vorbau, links Kastanie und Linde, im Vordergrund der Weg zur Vossgrund, Obstbäumchen in Klinksieks Weide
Wir Kinder haben etwa ein halbes Jahr daran gearbeitet. Wir wissen wohl, dass es meistens nur unvollkommene Kinderaufsätze sind. Aber wir denken doch, dass in 50 oder 100 Jahren einmal spätere Geschlechter gern darin lesen. Wir wären jedenfalls sehr froh, wenn vor 100 Jahren an einer Valdorfer Schule ein ähnliches Buch geschrieben worden wäre! Wenn wir damit wüssten, welche Vorfahren etwa mit Napoleon I. in Russland waren, oder wenn wir die großen und kleinen Sorgen unserer Voreltern genauer nachlesen könnten! In diesem Buche erscheinen einige sehr eindrucksvolle Berichte als Erlebnisse aus der furchtbaren Kriegs- und Nachkriegszeit um 1939 bis 1945, wie sie viele Generationen nicht zu erleben brauchten. Auch sie sollen kleine Streiflichter zu unserer Zeitgeschichte geben!
Natürlich bleibt noch viel zu einer gründlichen Heimatgeschichte zu tun. Vor allem müssten genaue geschichtliche Zahlen genannt werden. Es müssten die Archive von Detmold, Minden und Münster durchforscht werden. Leider haben wir auch keinen namhaften Mann, der etwa als deutscher Maler oder Dichter aus unserm Winterberger Bezirk stammt und uns vielleicht ein künstlerisches Bild der Vergangenheit der Heimat hinterlassen hätte. Wie dankbar wären wir auch dafür!
Aber wir denken doch, dass nach vielen Jahren auch unsere kleinen Berichte und Schulaufsätze viel Interessantes zu bieten haben werden. Unsere Alten erinnern sich noch an die ersten Autos und Flugzeuge, die uns heute so selbstverständlich erscheinen, als an ein Wunder. Und sie wussten noch nichts von Radio und Fernsehen. So mag es schon nach 50 Jahren den nächsten gehen, wenn sie an unsere heutige Zeit denken!
Wir geben dem Buche unsere heißen Wünsche für eine friedlichere und glücklichere Zukunft mit auf den Weg. Mag Gott unsere Heimat gnädig segnen!
Die Ober-Klasse der Schule Winterberg
Ein plötzlicher Abschluss, der kein Abschluss ist!
Bild: Kurt Penzel (1897 – 1982) Leiter der Winterberger Volksschule von 1951 – 1956
Die letzte Zusammenstellung einer jahrelangen stetigen Schularbeit der Oberklasse der Winterberger hat keinen geordneten Abschluss. Und es fehlen die gründlichen Betrachtungen zur Geschichte, Soziologie und Naturgeschichte, die eben ein sachverständiger Lehrer gebe müsste. Auch fehlt eine genauere Redaktion und ein Inhaltsverzeichnis, evtl. Personen- und Sachregister. Grund: Der Veranlasser verließ die Stätte seiner Arbeit nach sechs schönen Jahren Ostern 1957, um eine andere Schule, Sundern im Kreis Lübbecke, zu übernehmen. Hier sind diese Worte 1965 geschrieben. Die „Geschichten um den Winterberg“ waren eine stete Arbeit der Oberklasse und stellen eine Reihe von Jahresinteressen dar. Dem Schreiber bleibt ein kurzes Lebensbild und ein Gedanke über die Zukunft des Buches.
Kurt Penzel wurde in der einst so prächtigen Stadt Dresden am 7. August 1897 geboren. In Kinderjahren kam er in das wunderschöne, grüne Vogtland, nach Schöneck, 1909 auf die Oberrealschule zu Auerbach und 1914, während reicher Jahre in der Jugendbewegung des „Wandervogels“, in das Lehrerseminar zu A. 1917 rief der Krieg und brachte tiefste Erlebnisse. Januar bis Juli 1919 folgte nochmals Seminar-Besuch (Nur die Hälfte der Klasse lebte da noch!). Bis August 1939 war er Dorflehrer im Dorf Reumtengrün im Vogtland, heiratete, Tochter Anje kam an. In fast jedem der fruchtbaren, glücklichen und reformerischen Jahre gab es eine große Fahrt durch Deutschland usw. Im August 1939 kam er als Offizier in den Zweiten Weltkrieg, überstand ihn wunderbarerweise, 1948 folgte Entlassung aus englischer Gefangenschaft.
Die liebe Heimat ist in russischer Hand, die Familie drüben. Ostern 1949 wieder Dienst, in Löhne-Bahnhof. Die Eheleute finden sich wieder. Ostern 1951 schließt sich die Tätigkeit als Schulleiter auf dem Winterberg an, eine glückliche, erfolgreiche Zeit mit unerwartetem Ende. – Damit endet diese wohl in weiter Umgebung kaum noch einmal unternommene Arbeit, die es zu bewahren gilt. Gerne übergebe ich die vorläufigen Teile einem meiner damaligen Schüler zu treuen Händen: Ing. Wilfried Bierbaum, von dem ich annehmen kann, dass er dies Unvollkommene immer recht bewahre und seinerzeit dorthin weiterleite, wo es längere Zeit überdauern wird.
Kurt Penzel, Levern, Juli 1965 – (Original-Text gekürzt)
Geschichten um den Winterberg
– Vorwort zum Buch
Bild: Das Originalmaterial, teilweise auch als lose Blätter.
So war es 1951: Gut fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems steht Deutschland noch voll unter den Auswirkungen des Krieges. Aber es gibt Hoffnungen und den festen Willen, die Zukunft zu gestalten, im Großen wie im Kleinen.
Das gilt auch für unsere ländliche Heimat und exemplarisch für das Leben auf dem Winterberg. Er ist ein Ortsteil der Gemeinde Valdorf mit landwirtschaftlichen Strukturen ohne Industrie und Arbeitsplätze. Das Leben drehte sich um das tägliche Brot, Kirche und Schule. Wobei sich an den Begriff Schule, auch in dieser Zeit, immer weitere wie Chancen und Zukunft knüpften. Wir hatten eine eigene „Hoch-Schule“ mit zwei Lehrern, zwei Klassenzimmern und einem Klo überm Hof. Und für „Handarbeiten“ gab es auch noch jemanden. Das alles für etwa 180 Kinder, von denen etwa die Hälfte in die Kategorie „Flüchtlinge“ fiel.
Auch die Lehrer, die uns zugewiesen wurden, entsprachen diesem Schema und standen immer vor schier unlösbaren Aufgaben. Wie kann man hungrige Kinder in einem dürftig geheiztem Klassenraum ohne Bücher und Lehrmittel auf ein Leben mit Zukunft vorbereiten? Was macht man mit 45 Kindern aus zwei oder drei Jahrgängen in einem Raum, wenn man den Anspruch hat, allen etwas mitzugeben? Ein pädagogisches Konzept, wenn überhaupt, gab es für solche Fälle nirgends. Die Eltern kämpften um die nackte Existenz und erwarteten Lösungen von Staat und Kirche.
Dennoch haben immer wieder motivierte Pädagogen, wie in unserem Falle mein damaliger Lehrer Kurt Penzel, Lösungen gesucht und gefunden, die auch heute noch als kreativ gelten können. Allerdings unter außerordentlichem persönlichen Einsatz, ganz viel Improvisation und ungewöhnlichen Ansprüchen an Kinder und Eltern. Was von letzteren nicht immer geschätzt wurde und oft offene Kritik herausforderte.
Kurt Penzel kam aus der Wandervogel-Bewegung mit hohen pädagogischen Ansprüchen und einem an der griechischen Kultur orientierten freien Menschenbild, das unter anderem Kunst und Kultur als Anspruch beinhaltete. Daran orientierte sich seine Arbeit auf dem Winterberge. Das bedeutete nicht nur Rechnen und Schreiben für die Schüler, sondern auch Kulturgeschichte und Kunst für Eltern und Kinder außerhalb des Schulrahmens (in der abendlichen Winterberger Volkshochschule).
Das zu verwirklichen erforderte ungewöhnliches Denken. In der Schule war dies die Arbeit an einer Dokumentation über den Winterberg (Heute würde man das Projektarbeit nennen). Eine Arbeit, die alle Aspekte des Lebens und Daseins in unserer kleinen Welt umfasste. Damit war es möglich, in einem einzigen Raum Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen mit Aufgaben in unterschiedlichen Gruppen zu beschäftigen und bei geschickter thematischer Aufteilung alle schulischen Sachgebiete einzubeziehen. In unkonventioneller Weise, wie vieles in unserer Schule ablief, gelang es ihm, das Interesse der Schüler und die Motivation in der Sache zu konzentrierter Arbeit (jedenfalls zumeist) umzumünzen. Sogar die Zeit, um über den Tellerrand einen Blick in die Welt der Kunst und Literatur zu geben, war ihm wichtig.
Das Resultat dieser Bemühungen sind die „Geschichten um den Winterberg“: Eine Sammlung von weit über 500 Aufsätzen, geschrieben von den Schülern der Jahre 1951 bis 1956. Hinzu kommen ein großer Fundus von Fotos der Zeit und Zeitdokumenten aller Art und eine erklärende Strukturierung des Materials durch Herrn Penzel.
In einem Nachlassbrief hat Kurt Penzel mir diese Dokumente als Originale übereignet, mit der Maßgabe, die Sammlung zu pflegen und sie zu einem späteren Zeitpunkt den ehemaligen Schreibern in einer, wie auch immer gearteten Form, zugänglich zu machen. Dieses Vermächtnis, denke ich, ist als gedruckte Dokumentation am ehesten für alle verfügbar.
Mein Dank gilt in diesem Kontext den Mitgliedern der Geschichtswerkstatt Exter, die meine Anregung sofort aufgegriffen haben und viel Arbeit in die Druckumsetzung investiert haben. Insbesondere möchte ich Herrn Wilfried Sieber danken, der mit außerordentlichem Arbeitseinsatz und viel Erfahrung die Herausgabe des gebundenen Buches ermöglicht hat.
Vlotho, im November 2008 – Wilfried Bierbaum
Geschichten um den Winterberg / Was wir uns dabei gedacht haben
Vor einiger Zeit sprach uns Wilfried Bierbaum vom Vlothoer Winterberg darauf an, ob uns eine Reihe von Aufsätzen aus den 1950er-Jahren interessieren würde. Verfasst von Schülern der vor Jahren aufgelösten Volksschule Valdorf-Ost beschäftigten sie sich mit dem damaligen Geschehen nicht nur im Ort.
Neugierig riskierten wir einen Blick und waren von der Fülle des Materials überrascht. Wir fanden eine wertvolle umfangreiche ortsgeschichtliche Sammlung, die original erhalten bleiben muss. Veröffentlichung war angesagt, als erschwinglicher Druck, auch der Dauerhaftigkeit wegen gegenüber elektronischen Medien.
Die vollständige Übertragung liegt nun vor in einem manuell erstellten Band fürs Stöbern und Blättern auf über 500 Seiten im Großformat, die wertvollen Originale werden geschont. Texte und Illustrationen sind zusätzlich digitalisiert. Wichtig für das Verständnis des Projektes sind zahllose Zeitungsartikel, wobei Kurt Penzel Valdorfs Heimatdichter Schemmels Frittgen wohl besonders ins Herz geschlossen hatte. Das Projekt musste aber für eine breitere Veröffentlichung in vernünftigem Umfang und Rahmen abgewickelt werden. Zwei Teams prüften, was zu veröffentlichen war. Durch ausgewogene Alters- und Interessenstruktur hoffen wir auf eine möglichst objektive Auswahl. Wir denken, dass wir trotz der Straffung immer noch ein lebendiges Bild der Nachkriegszeit aus der Sicht der jungen Menschen vermitteln, die in einer Zeit mit Schwierigkeiten lebten, die die nachfolgenden Generationen nur schwer nachvollziehen können. Einige Texte machen nachdenklich, manche lassen Beklommenheit aufkommen, andere fordern zum Mitlächeln auf. Dokumentierte Erinnerungen der Eltern und Großeltern ergänzen dieses spannende Lesebuch eigener Art.
Nicht alle beachtenswerten Arbeiten haben wir hier aufgenommen; zwei Auszüge erschienen bereits. Die 1956er „Klassenfahrt nach Rödinghausen“ verdiente die komplette Herauslösung, „Wo wir leben – Wie wir leben“ erschien 2005 anlässlich der 950-Jahr-Feier der Gemeinde Valdorf. Eine Veröffentlichung im Historischen Herforder Jahrbuch für 2008 zeigt überörtlich, welche Schätze die Weserstadt Vlotho bietet.
Das vollständige Material ist den Beteiligten zur Einsicht nach wie vor offen, liegt bei Herrn Bierbaum und kann nach Rücksprache mit ihm eingesehen werden. Im Falle einer Veränderung wird die Sammlung im Sinne des Initiators geschlossen an eine geeignete Einrichtung weitergeleitet.
Wir möchten zum Abschluss nicht versäumen, der Sparkasse Herford noch einmal herzlich zu danken für die gewährte Unterstützung der vorliegenden Veröffentlichung.
Vlotho, im November 2008 – Geschichtswerkstatt Exter
Weitere Schülerarbeiten finden Sie in den nachstehenden regulären „Beiträgen zur Ortsgeschichte“. Darüber hinaus haben Sie hier Zugriff auf das PDF-Protokoll (369 KB) „Unterricht 1951 auf der Winterberger Volksschule“, das leider im Titel „Geschichten um den Winterberg“ nur sehr stark verkürzt enthalten sein konnte.